Schreiben über Musik


Seit meinem Studium habe ich mich als freier Journalist immer wieder mit Musik und Musikveröffentlichungen beschäftigt. Erschienen sind meine Rezensionen unter anderem in Wochenblättern und Stadtmagazinen: Wochenblatt Mannheim, "Fritz"/"Franz" (Mannheim), Ostseeanzeiger (Mecklenburg-Vorpommern), Marburg extra, Anzeiger extra und Hinterland extra (Marburg-Biedenkopf) und in den vergangenen Jahren vorwiegend in der Oberhessischen Presse in Marburg. Wer nochmal musikalisch zurückblicken will - bitte schön!



Hier habt ihr Zugriff auf die reine Textfassung meiner Rezensionen in "Marburg extra" (MEX, gleichzeitig auch in "Hinterland extra" HEX erscheinen und im "Anzeiger extra", Ostkreis - Gesamtabdeckung der Haushalte im Landkreis Marburg-Biedenkopf)

 

Diese Rezensionen erschienen im Jahr 2005:

5. Januar

Verschiedene:

Stranded in the USA

Kaum ein Land ist so von Einwanderern geprägt worden wie die Vereinigten Staaten, das sieht man nicht zuletzt daran, welchen Einfluss eine Familie wie die irischstämmigen Kennedys in den USA erlangen konnte - eben bis ins Weiße Haus hinein. Der Trikont-Sampler “Stranded in the USA” setzt den anderen, unbekannteren Einwanderern ein Denkmal. Denen nämlich, die ihren einwandernden Landsleuten in der ersten Zeit musikalisch Halt gaben und Trost über den Verlust der Heimat und den schweren Start in der Fremde spendeten. Finnische, sebokroatische, jüdische, mexikanische, irische, griechische, gar ukrainische Lieder über das allen Einwanderern bekannte Gefühl, zwischen den Welten zu stehen, hoffnungsvoll zwar, aber doch vor einer ungewissen Zukunft. Diese auf eine feste Zielgruppe zugeschnitttene Musiksparte erlebte zwischen 1900 und 1940 einen Boom, Künstler wie Howie Bowe & his little German Band brachten es durch ihre Schellack-Veröffentlichungen zu respektabler Prominenz. Deutschsprachige Immigranten wurden aber auch von der österreichischen Schaschko Family oder dem Schweizer Hans in der Gand bedient, die ebenfalls auf diesem  feien Sampler zu finden sind. Nebenbei entsteht mit diesem Wehmut-Sampler ein Stück Weltmusikgeschichte des frühen 20. Jahrhunderts, bei der die traditionelle Volksmusik aus aller Welt zu einer abwechslungsreichen Mischung zusammenfließt. Ausführliche Informationen über den Hintergrund der Einwanderer-Musik runden das Erlebnis ab.

 

Brian McFadden:

Irish son

 

Wieder einer, der aus einer Boy-Group herausgewachsen ist und sich alleine durchs Popleben schlagen will. Westlife-Star Brian McFadden hat das y in seinem Vornamen durch ein i ersetzt, die Haare auf Kopf und Kinn wachsen lassen und präsentiert sich als Rocksänger mit allerdings weiter starkem Hang zu sanften Tönen. Wer von diesem Solo-Debüt nicht gleich Wunder erwartet, dürfte zufrieden sein. Immerhin hat McFadden in Guy Chambers die langjährige bessere Songschreiber-Hälfte von Robbie Williams an seiner Seite, und er beschränkt sich in seinen Texten nicht nur auf platte Liebesschwüre. Trotz manch ernster Themen wie Alkoholmissbrauch (“He’s no hero”) oder häusliche Gewalt (“Walking into walls”) klingt die CD insgesamt aber noch ziemlich glatt. Erfolgreich wird McFadden dennoch oder gerade deswegen sein, das legen die Single “Real to me” und das hitverdächtige Duett mit Delta Goodrem (“Almost here”) nah.

 

 

E Nomine: Gottes Werk

und Teufels Beitrag

 

Ein bisschen Grusel gefällig? Das Mystik-Dance-Projekt E Nomine (“Das Omen”) legt das Beste aus seiner Sammlung von düster-monumentalen, chorgetragenen und mit den deutschen Synchronstimmen von Hollywoodschauspielern versetzten Songs vor. Mit dabei sind auch zwei neue Werke: “Vater unser, Teil II” und die Titelmusik zu dem Sat1-Zweiteiler “Die Nibelungen”.

 

 

12. Januar

Nick Cave + Bad Seeds: Abattoir blues, Lyre of Orpheus

 

Ein Doppelalbum, das es in sich hat. Nach dem Abgang des deutschen Gitarristen Blixa Bargeld, der über Jahre ein zentraler Bestandteil der Cave-Begleitband Bad Seeds war, stürzten sich die Verbliebenen in die Arbeit und schaufelten sich mit 17 Songs frei, die von Gospel bis Jazz auf keinen Einfluss verzichten.

Zwei bis drei Stücke auf dem kraftvolleren “Abattoir Blues” klingen zugegebenermaßen manchmal etwas verstört und rau, doch dafür versöhnen erstklassige wehmütige Blues-Stücke wie “Messiah Ward”, die eingängige Pop-Single “Nature Boy” oder das hymnische, von Gospel-Chören getragene “There she goes, my beautiful world” (ein mitreißendes Stück über Schreibblockaden eines Künstlers). Wer Cave nicht so genau kennt, wird sich wundern, welche Lebenskraft aus den Songs des als Gruftie-Sängers verschrieenen Australiers quillt.

Wer dennoch eher auf die gewohne Seite von Nick Cave steht, fühlt sich mit der zweiten CD “The Lyre of Orpheus” sicher besser bedient. Allerdings ist diese längst nichtso vielseitig, böse Zungen könnten das auf den im Albumtitel genannten Gott des Schlafes zurückführen. Hier ist Cave so, wie man ihn kennt. Fordernd, düster und wie in seinem über Jahre eingeübten dumpf.melancholischen Sound gefangen. Das ist nicht schlecht, nur im Vergleich zum innovativeren Schwesteralbum “Abattoir Blues” ist es geradezu auffällig bieder.

 

 

Orange Blue: panta rhei

 

Das Hamburger Duo Orange Blue schoss mit soften Piano-Balladen (“She’s got that light”) im den Pophimmel. Innerhalb kurzer Zeit avancierten Volcan Baydar (Gesang) und Vince Bahrdt (Piano, Drums)  zu Superstars und lernten auch die Schattenseiten des Business kennen: Verfolgung bis ins Private, negative Schlagzeilen, Häme und Neid und den Zwang, die nach den ersten Hits gestiegenen Erwartungen zu erfüllen. Letzteres ist ihnen mit “Panta rhei” insgesamt gelungen. Eine Hitgarantie kann man etwa für die Ballade “Caught in Silence” geben, “Heaven knows (I’ve changed)” und die Single “But I do” sind schon leidlich bekannt. Insgesamt ein schönes Stückchen Plätscher-Pop, an dem musikalisch nichts auszusetzen ist, wenngleich es mancher Streicher weniger auch getan hätte. Für ungestörten Genuss sollte man allerdings manche textliche Plattheit großzügig überhören.

 

Schwerkraft: Nachts

 

“Schwäre Kohst”, würden die Klitschkos wohl zu Schwerkraft sagen. Ruhige, melancholische, fast meditative Klänge aus der Werkstatt eines Bastlers, mit leisem schwermütigem Gesang, der eigentlich eher die Musik begleitet als umgekehrt. Was gesungen wird ist aber auch nicht so entscheidend, denn die Stimmung, die der Soundtüftler “Harald von Schwerkraft” erzeugt, ist ein packender Soundtrack von nächtlichen Autobahnfahrten, von vorbeirauschenden Leuchtreklamen und Straßenlaternen und der Sehnsucht, endlich ein Ziel zu erreichen.

 

19. Januar

Tocotronic: Pure Vernunft darf niemals siegen

 

Lang ersehnt, steht die neue CD von Tocotronic ab dieser Woche in den Läden. Und die neuen Songs des durch den zweiten Gitarristen Rick McPhail zum Quartett angewachsenen Trios packen von der ersten Sekunde zu. Die  Eröffnung mit dem im Stil eines wütenden Protestsongs aus den siebzigern gehaltenen Liebeslieds “Aber hier leben, nein danke” und man steckt drin, in der Tocotronic-Welt, die einen mit ihrer freundlichen Eingängigkeit bis zum Ende der CD nicht mehr aus den Fängen lässt. Das liegt vielleicht auch an der Art der Aufnahme. Tocotronic spielten die Stücke im Studio komplett unter “Live”-Bedingungen ein und puzzelten nicht bis zur strilen Perfektion an ihnen herum. Diese dichte Atmosphäre ist förmlich spürbar und macht Spaß beim Zuhören. Das gilt ebenfalls für die Texte, die sich auch unvertont in einem Lyrikbändchen sehen lassen könnten.

“Der achte Ozean” ist todsicher einer der Hits des Jahres, doch hinter dem Tocotronic-typischen Mehrgitarrenhintergrund dominieren fast überall auf dieser CD hochmelodische und mitreißende Hauptlinien. Wie im Titelstück. Abgesehen davon, dass es zum Mitsingen animiert - wem spricht die Aussage “Pure Vernunft darf niemals siegen” nicht aus der Seele? Dieser Song und dieses Album ist genau das, was unsere reformgequälten Psychen brauchen, um uns auch 2005 wieder hoffnungsvoll dem wahren Leben in der Republik entgegenzustemmen.

 

Laibach: Videos (DVD)

 

Laibach feiern in diesem Jahr ihr 25-jähriges Bandbestehen. Da ist es Zeit, um auf eine wechselvolle Karriere zurückzublicken. Die slowenische Band, gegründet 1980 im kommunistischen Jugoslawien wurde dort bald verboten. “Auf der Flucht” eroberte die Band Europa mit ihrer eigentümlichen, kontrovers diskutierten und vielgehassten Mischung aus düsterer Industrial music, drastischen Texten über Gut und Böse und dem Hang zur ironischen Selbstinszenierung mithilfe militärischer und aus verschiedenen Diktaturen abgeleiteten Ideologie-Symbolen. Mit der Übertragung von Pop-hits wie “Final Countdown”, “Life is Life” oder Queens “One Vision” in den typischen Laibach-Sound stieß die Band, die sich nach dem deutschen Namen der slowenischen Hauptstadt Ljubljana benannte, in den Mainstream vor. Die rund 100-minütige CD enhält 13 Videos der Band und einen aufschlussreichen biographischen Film, der zum Erscheinen der vorerst letzten Veröffentlichung “WAT” aus dem Jahr 2003.

 

Pure Inc.: Pure Inc.

 

Schweizer Hardrock-Röhren in der Tradition von Michael Schenker und Edguy: Das Baseler Quartett Pure Inc. liefert saubere Rocksongs mit viel Tempo und Melodie. Mal hart, mal abgebremst und mit viel Gefühl - dafür gibt es zwar keinen Innovationspreis, aber viele Freunde für die Band, die in der Schweiz längst ein Begriff ist und schon diverse Touren als Vorgruppe von Gotthard hinter sich hat.

 

26. Januar

Helge Schneider: Füttern verboten (live)

 

Wer sich einen Tonträger mit Helge Schneider drauf kauft, weiß, was ihn erwartet: “Tiere, Menschen, Musik, Kartoffeln, Technik, Physik, Tod .. ääh, alles Mögliche”. So zumindest kündigt der ernstzunehmende Jazz-Musiker und weniger ernstgenommene Kalauer-Clown seinen Auftritt in Dortmund an, der unter dem Titel “Füttern verboten” - es geht schließlich auch um Begebenheiten und Kindheitserinnerungen im Zoo - in dieser Woche erschienen ist.

73 minuten aus einem zweieinhalbstündigen Konzert, dennoch entsteht keineswegs der Eindruck, man habe ein Highlight verpasst. Schneider steht - abgesehen von “Teekoch” Bodo - solo auf der Bühne, plaudert seine Absurditäten des Alltags, die auf die Spitze getriebenen Wortklaubereien munter vor sich hin.

Mein Favorit ist die Trauungszeremonie, die durch das verzerrte Echo eines Mikrofons ihren ganz eigenen Tiefsinn erfährt. Ein “Gastauftritt” von Udo Lindenberg, ein paar Seitenhiebe auf Peter Maffay und die “Liveübertragung” eines TV-Kommentars von der Bestattung des britischen Thronfolgers Prinz Charles in der Bochumer Kathedrale - die Sprache steht auf “Füttern verboten” stärker im Vordergrund als sonst mit der excellenten Band.

Vieles, was Schneider nur scheinbar beiläufig ins Publikum brabbelt,  ist tiefsinnig, einiges schwachsinnig und bekanntere Songs wie “Meisenmann” oder “Pommesbude” sind eine willkommene Abwechslung und ein Anker, an dem man Halt findet, wenn einem der Schneidersche Witz doch mal den Boden unter den Füßen raubt. Ganz nach dem Motto des Auftritts: “So. Tach. Bring mir Tee. Schnell. Ich hab Hunger. Tee-Hunger.”

 

Matt Sweeney + Bonnie

“Prince” Billy: Superwolf

 

Die Zusammenarbeit des Texters Bonnie “Prince” Billy und des Komponisten Matt Sweeney, der die Songs auf dieser Platte ausgehend von Billys Texten entwickelte, hätte keinen besseren Titel haben können. “Superwolf”, der einsame Wolf lugt stets um die Ecke, wenn die beiden, fast gelangweilt wirkend, ihren spartanisch-getragenen Wüstenblues vor sich hin spielen. Crosby, Stills, Nash und Young treffen auf einen sehr melancholischen Bruce Springsteen, nur selten - wie auf “Goat and ram” - hauen kräftige Drums los und bringen unvermittelt ein wenig mehr Power in die Songs. Die Musik dieses Duos ist ideal, um Träumen nachzuhängen, um zu schmachten oder sichmal richtig auspendeln zu lassen.

 

 

Verschiedene/ Perfekte Welle - Musik von hier

 

Warum irgendjemand sich bemüßigt fühlte, ausgerechnet jetzt mal wieder Bilanz zu ziehen in der deutschsprachigen Rockmusik, das kann guten Gewissens vernachlässigt werden. Nicht jedoch, was dabei herauskam. “Perfekte Welle”, benannt nach der nach der Flutkatastrophe in Südasien vorübergehend aus den Radios verschwundenen Juli-Hymne, versammelt 20 erstklassige Künstler, die für die Zeit stehen. Von den Söhnen Mannheims, Max Herre und Joy Denalane über 2raumwohnung, Paul van Dyck, Silbermond und Rosenstolz bis zu Mia, die Fantastischen Vier, Virginia Jetzt! und Jansen & Kowalski: Es ist alles drin, was einen guten deutschen Sampler derzeit ausmacht. Jedes weitere Wort wäre zu viel, deshalb halten wir es mit den Sportfreunden Stiller, die selbstredend auch auf der “Musik von hier” vertreten sind und sagen: “Ich Roque” - Du auch?

 

 

2. Februar

Masterplan:

Aeronautics

 

Mächtigen Kraft-Rock, das darf und kann man von Masterplan erwarten. Nach dem vielbeachteten Debüt 2003 - es stieg in den deutschen Albumcharts bis auf Platz 42 - bringt der Nachfolger “Aeronautics” erneut eine Reihe erstklassiger, knallharter aber melodischer Songs zu Gehör. Richtig überraschen kann das aber auch wieder nicht. Denn schon die erste Masterplan-CD als Debüt zu bezeichnen, trifft den Kern der Sache nicht. Sänger Jorn Lande sammelte zuvor bei der Art-Rock-Combo Ark seine Meriten, Drummer Uli Kusch und Gitarrist Roland Grapow bei Helloween. Insofern ist es auch nicht überraschend, dass sich schwindelerregende Gitarrensoli und Trommelfeuer, hymnische Refrains und bittersüße Balladen zu einer gekonnten Einheit zusammenfinden.

 

Hood:

Outside closer

 

Eine helle, tapfere und moderne Platte haben Hood vorgelegt. Das sagt die Plattenfirma. Was auch immer diese Klassifikation heißen soll, eins stimmt: Die Songs sind alles andere als düster, auch wenn der Grundsound eher gedämpft ist. Es steckt erkennbar viel Tüftelarbeit in den zehn Stücken, schräge Tonfetzen, fein eingenähte Verfremdungen, kuschelige, unaufdringliche Melodien, die wie der eher beiläufige Gesang zufälliger erscheint als er in Wirklichkeit ist. Eine perfekte Pop-Inszenierung abseits ausgetrampelter Hitpfade. Entdeckenswert.   

 

“Der Klassiker”

Nirvana - MTV unplugged in New York

 

In unregelmäßiger Folge werden an dieser Stelle auch CDs vorgestellt, die längst nicht mehr neu sind, aber in keinem CD-Ständer fehlen sollten und meist recht günstig als Midprice-CDs zu erstehen sind.

  Kurt Cobain ist tot, Selbstmord mit 27, einer von der Sorte “Nur-die-Guten-sterben-jung”. Klar, das weiß jedes Kind. Wer jedoch hinter die Fassade der Rock-Giganten der frühen Neunziger Jahre sehen will, kann dies wohl am besten mit der für Nirvana untypischsten CD tun. Das MTV-Konzert aus der berühmten “Unplugged-Reihe” zählt für viele Fans zu den absoluten Highlights der kurzen Band-Karriere. Für manche ist es auch eine Art Vermächtnis des Sängers. Denn Kurt Cobain (Gitarre, Gesang), Krist Novoselic (Bass, Akkordeon, Gitarre), Dave Grohl (Schlagzeug, Gesang), Pat Smear (Gitarre), Curt und Cris Kirkwood (beide Gitarre) und Lori Goldstone (Cello) spielten die CD am 18. November 1993 in New York ein. Als sie im Jahr darauf erschien, lebte Cobain schon nicht mehr. Er hatte sich am 5. April in seinem Haus erschossen.

Diese CD, nicht im Grunge-Sound, mit dem die Band von Seattle aus die Welt eroberte, sondern live in Club-Atmosphäre und mit akustischen Gitarren und Cello eingespielt, erreichte nicht nur die hörigen Fans der Band, sondern auch die, die sich mit dem rauen Garagensound nicht so recht anfreunden wollten. Das Konzert bewies, dass die Nirvana-Songs das Zeug zum Klassiker haben. Selbst wenn der größte Erfolg der Band, “Smells like Teen spirit”, gar nicht zum Vortrag kommt.

 

 

9. Februar

Henry Rollins:

Shock & Awe - Spoken Word Tour (DVD)

 

Nach 83 Shows in den USA tourt Henry Rollins seit Januar mit seinem "Spoken Word Program" durch Europa. Für Deutschland gibt es zwar noch keine Termine, zur richtigen Vorbereitung allerdings die DVD mit dem Titel "Shock and Awe", die im April 2004 in Seattle gefilmt wurde.

Wer aber ist eigentlich Henry Rollins? Punker, Alternative Rocker, nebenbei zunehmend Buchautor und gefragter Alleinunterhalter, ein “Kabarettist”, der die öffentlichen Auftritte eines George W. Bush, seine Grimassen und Ausdrucksweise genauso amüsant in einem Abendprogramm verpackt wie das absurde Gespräch mit einem Einbrecher, den er mal in seinem Haus in Kalifornien überraschte. Alltägliche Schwierigkeiten zwischen den Geschlechtern lebt Rollins gestenreich mit der gleichen Inbrunst aus wie eine Plattenaufnahme mit dem Star Trek-Star William Shatner. Obwohl in den 97 Minuten auf der spärlich beleuchteten Bühne wenig “Action” geboten wird, ist die Ein-Mann-Show in keinem Moment langweilig. Wer dem blumig erzählenden Rollins sprachlich folgen kann, wird unweigerlich in den Bann gezogen und hat großen Spaß an den fein beobachteten Begebenheiten und Analysen des Alltags. Nicht nur für Amerikanistik-Studenten ein tolles Forschungsobjekt. Als Zugabe gibt es einige Schnappschüsse von einem Rollins-Besuch in Afghanistan, unter anderem bei den US-Truppen. Musik dagegen hält nur der Abspann der Live-Show bereit.

 

 

Blackmore’s night:

Beyond the sunset

 

Na, hat jemand schon die Halbpromi-Quälerei “Die Burg” gesehen? Natürlich nicht, aber die Titelmusik von Blackmore’s night war interessant, oder? Hinter der Band steckt kein anderer als Deep Purple- und Rainbow-Gitarrist Richie Blackmore, der schon seit einigen Jahren mit seiner Frau Candice Night, einer ausgebildeten Sängerin, der sanften Muse aus der Vergangenheit folgt. Mit alten Weisen und neuen, mit historischen Instrumenten “minnetauglich” getrimmte Songs und Balladen (manchmal auch mit alten deutschen Volksliedern) ziehen die beiden durchs Land. Das Titelstück zur Fernsehsendung “Die Burg” namens “Loreley” stammt vom Album “Ghost of a rose” (2003). Wer sich von dieser Art mystischer Popmusik angesprochen fühlt, sollte aber vielleicht zuerst in “Beyond the sunset” reinhören. Die aktuelle Blackmore’s night-CD gibt mit ruhigen Stücken aus vier Alben einen guten Überblick über das Werk der Band. Mit dabei sind auch Coverversionen wie “Wish you were here” (Rednex) oder “Diamonds & Rust” (Joan Baez). Höhepunkt der romantischen Zusammenstellung ist sicher “Now and then” aus der Feder von Candice Night. Und eine DVD mit fünf live in der Burg Solingen aufgenommenen Titeln gibt es gratis dazu.

Wer dagegen nur das Lied “Loreley” besitzen will, und dazu Wert auf “zeitgemäßen” Minnesang à la Haiiduci, Scooter und Konsorten legt, kann gleich zum “Burg”-Sampler zur Pro7-Sendung greifen. 

 

 16. Februar

Emiliana Torrini:

Fisherman’s woman

 

Auch wenn Emiliana Torrini bei uns noch längst nicht den Namen hat, bei dem alle wissend und anerkennend mit dem Kopf nicken, hat die Isländerin in den fünf Jahren seit ihrem Debüt schon deutliche Spuren in der internationalen Popmusik hinterlassen. Sie sang etwa mit glockenklarer Stimme den bewegenden “Gollum’s song” für den zweiten Teil der "Herr der Ringe"-Filmtrilogie und sie schrieb mit an Kylie Minogues Hit “Slow”.

“Fisherman’s woman” wird jedoch all die überraschen, die sich vor allem an ihrem elektronisch geprägten Erstling aus dem Jahr 1999 orientieren. Das neue Album bietet akustische - man verzeihe den etwas abgegriffenen Vergleich - “Perlen”, vorsichtig instrumentiert, vorwiegend mit Piano, Gitarre, ein bisschen Bass und äußerst zurückhaltenden Drums eingespielt. Ein paar kleine Nebengeräusche gibt es auch zu entdecken, wie zum Beispiel das eigentümliche Knarren eines in leichter Brise schaukelnden Bootes (“Livesaver”).

Alles ein wenig jazzig angehaucht, erinnert die 27-Jährige Torrini an Norah Jones’ Jazz-Pop, stimmlich auch an Enya, die Folkrock-Ikone Melanie (“Ruby Tuesday”) oder Landsfrau Björk. Die melancholischen Texte zwischen Traurigkeit und vorsichtigem Optimismus fügen sich perfekt in die leise plätschernde Stimmung von einem entspannten Abend am Meer ein. Zum Einkuscheln schön. 

 

Stefan Gwildis:

Nur wegen dir

 

Es ist schon etwas gewöhnungsbedürftig, Soulklassiker mit deutschen Texten zu lauschen. Sicher, Versuche, auch gelungene, hat es immer wieder gegeben. Aber in der Konsequenz, wie es der Hamburger Stefan Gwildis seit einigen Jahren umsetzt, ist es neu. Ein später Ruhm wäre dem 45-Jährigen zu gönnen, denn er trifft textlich stets den richtigen Ton. Keine peinlichen Wort-für-Wort-Übersetzungen, sondern intelligent erzählte eigene Geschichten begleiten Meielnsteine der Musikgeschichte. Van Morrisons “Brown Eyed girl” wird zu “Nur wegen dir zog ich hier her”, “I heard it through the grapevine” von Marvin Gaye entwickelt sich als “Das kann doch nicht Dein Ernst sein” nicht nur lautmalerisch zur Mitsing-Hymne. Gleiches gilt für Songs wie “Tu doch was” (Bill Withers / “Just the two of us”) und “Ain’t no mountain high enough” alias “Wir haben doch jeden Berg geschafft”. Am engsten bleibt Gwildis bei Joe CocKers Ballade “You are so beautiful” am Original kleben. Dass der Mann auch selbst Songs schreiben kann, beweist er mit vier Eigenkompositionen, die sich zwischen den berühmten Nachbarn auf dem Album wohlfühlen. Mit der Ode an den typisch deutschen Himmel (“Wunderschönes Grau”) will Gwildis sogar den deutschen Entscheid zum Eurovision Song Contest gewinnen. Die Chancen stehen nicht schlecht, denn er kommt bei vielen Hörerschichten an, wie der Gewinn der Goldenen Stimmgabel vergangenes Jahr beweist.

 

23. Februar

Stoppok live:

Solo

 

Stoppok ist live ein Ereignis, das darf man ohne Weiteres behaupten. In den vergangenen Jahren pflegte der virtuose Ruhrpott-Poet live zunehmend den klassischen Singer-/Songwriter-Auftritt allein mit vielen Instrumenten auf der Bühne. Launige Einleitungen, Improvisationen und vor allem die älteren Songs, die seit jeher die Renner auf seinen Konzerten sind, prägen auch “Solo”. Auf der Doppel-CD mit insgesamt fast 140 Minuten Spielzeit erzählt der nölende “Ingo Naujoks der deutschen Rockszene” mit viel Spielfreude seine absurden Geschichten, vom “Ärger”, der “schon hinter der nächsten Ecke steht” über “Wetterprophet” und die Mordballade “Willi und Gerd” bis hin zu  “Zwischen Twen Tours und Seniorenpass”, wo eben “keiner mehr Rabatt gibt”. Stoppoks noch immer unterschätzten Hymne der steuerzahlenden Bevölkerung ist nicht nur in der Banjo-Version stets ein Konzerthöhepunkt. Als Gast kommt in vier Liedern im übrigen Beverly Jo Scott zu Wort, eine schöne Ergänzung zu Stoppoks gewöhnungsbedürftiger Stimme.

Die direkte Verbindung zum Publikum, das schlagfertige Eingehen auf Zwischerufe und die brillant auf die Soloauftritte arrangierten Songs bringt diese intime Atmosphäre in seinen akustischen Solo-Konzerten auch auf CD prima rüber. Allerdings handelt es sich nicht um einen durchgehenden Konzertmitschnitt, sondern um eine montierte Folge aus mehreren Auftritten. Das geht zwar auf Kosten der Athentizität, bietet aber den Vorteil, dass der Künstler wirklich nur Stücke anbietet, die er selbst für die beste Auswahl hält. Und das macht Spaß. Garantiert.

 

Absynthe Minded:

Acquired taste

 

Beim Blick auf das Cover und beim Hören der Songs könnte man glauben, dass die Jungs um den Belgier Bert Ostyn sich gern an dem grünen Kultgetränk berauschen, das der Band den Namen gab. Vor allem der Einstieg in das Album, “I am a fan” klingt ein wenig verstörend. Wer sich davon aber nicht abschrecken lässt, erlebt eine angenehme Überraschung. Leicht verdauliche Häppchen zwischen Beat und Gute-Laune-Pop, mitreißender Jazzfunk (“People of the pavement”), der einen auf die Tanzfläche treibt, Folkpunk im Stil der Levellers (“In her head”), Bluegrass, gar klassische Anklänge und zum Schluss die feine Ballade “Walk with me” - aber immer alles ein wenig abseits der üblichen Hörgewohnheiten zusammengemischt, zitiert, abgekupfert, zerklopft und neu zusammengestellt - eine wahre Mosaiklandschaft populärer Musik.

 

2. März

Fiddlers Green:

Celebrate (DVD)

 

Mit dem Konzert am Samstag in der Kleinsporthalle in Breidenbach eröffnen Fiddler’s Green ihr Konzertjahr. Zwei Tage später steht die dazu passende Live-DVD in den Regalen der Musikläden. “Celebrate” gibt in Konzertform einen schönen Rückblick auf die Karriere der Erlanger Speed-Folk-Gruppe, die sich ihren guten Namen im wahrsten Sinne auf den großen und kleinen Bühnen der Republik erspielt hat. Nicht zuletzt deshalb lag es nah, gerade den 1000. Auftritt - vor der imposanten Kulisse der Burg Hoheneck - mit einer DVD zu feiern.

Fiddler’s Green-Mitsingklassiker wie “Shut up and dance”, “Don’t turn away” oder “Hip hurray” und irische Traditionals (“Raggle Taggle Gypsy”) treffen auf gekonnte Instrumentalparts wie “Reeltime”, wo die Band mit Fiddle, Djembé und der Bodhran Vivaldis “Vier Jahreszeiten” ins Format der irischen Reel-Tänze presst.

Der energiegeladene Auftritt ist blendend gefilmt, immer auf Tuchfühlung mit den Musikern, aber längst nicht so hektisch geschnitten wie viele vergleichbare Konzertaufnahmen. Da bleibt auch Zeit für die Details der Show und für die komischen Talente der Bandmitglieder. Die kommen auch in den “Green Cuts”, kleinen Spaßfilmchen, die am Rande der Touren von der Band selbst gefilmt wurden, zur Geltung. Und weil auch das noch nicht reichte, gibt es noch 20 Minuten mit älterem Livematerial oben drauf, so dass man insgesamt 148 Minuten Fiddler’s Green geboten bekommt, die ihr Geld wert sind. 

 

Jelly Planet:

Yellow Sunshine explosion

 

Obwohl es der Titel nahelegen könnte, hat die Neue von Jelly Planet gar nicht mal so viel Gute-Laune-Musik geladen. Allerdings sind die beherzten Griffe in die siebziger Jahre.Kiste so bestimmend, dass die durchaus von eigenen Ideen getragene CD wie ein Tribut an die gute alte Zeit wirkt. Das beginnt mit sphärischem Artrock (“The healing”) und findet in dem hingebungsvoll gejammten siebenminütigen “Hush” seinen Höhepunkt. Je länger die CD aber dauert, desto ruhiger wird sie. Am Ende stehen mit “Running away” und “Sun parades” gar zwei Stücke, die in die Spätphase der Beatles, noch besser vielleicht aber zu George Harrison, gepasst hätten. Eine CD, in die man sich erst  einhören muss.

 

 

TempEau: TempEau

 

Das Wortspiel im Namen ist nicht besonders originell, auch die Bandgeschichte klingt ein wenig zu sehr nach modernem Märchen: Der Schauspieler Marek Harloff bekommt eine Rolle als Rockmusiker angeboten und als Coach ausgerechnet den Jugendfreund Jan Plewka, seines Zeichens Sänger von Selig, zugelost. Mit dem hatte er als Schüler schon eine Band und große Träume, die zerbrachen. Erst durch den Casting-Zufall entdecken die Freunde die gemeinsame Freude an der Musik wieder und nehmen eine CD auf.

Die wiederum ist solide geworden. Achtziger Jahre Protest-Rock mit deutschen Texten, wütend, bitter, aber musikalisch authentisch umgesetzt, nicht zuletzt aber auch dank des rhythmischen Antriebs durch den dritten im Bunde, den Selig-Drummer Stephan “Stoppel” Eggert.

 

9.März

Fidget:

The merciless beauty

 

Die CD des Düsseldorfer Quintetts Fidget klingt wie direkt aus dem Probenkeller. Das soll nicht heißen, dass die Songs nicht ausgereift wären, sondern dass sie sich die Frische von ganz neu eingespielten, im Studio noch nicht bis ins Detail geglätteten und perfektionierten Stücken bewahrt haben.

 Überraschend ist die Vielfalt, die Fidget auf der “gnadenlose Schönheit” betitelten Platte verewigen. Da ist das tanzbare “Mojo”, die sentimental-kratzige Ballade “Perfect” (die übrigens im Freien aufgenommen wurde) und unbändig kraftvolle Lieder wie “Platitude”, “Distance vs. desire” oder ”Better than this”. “Hear you scream” hat Grunge-Appeal, lehnt sich aber gleichzeitig an den Sound bekannter Hardrock-Heroen an.

Das Titelstück, ein vertontes Gedicht lädt kurz vor Schluss zum Verschnaufen ein, bevor

mit “Lydia behind the bars” ein wahrer Absacker gereicht wird. Und dort ist es wie überall auf der CD: Immer wenn Darline Fae Rubi neben Thomas Alexander Jeske zum Mikro greift, wird Fidget so richtig gut. Mal klingt sie wie eine Rockröhre aus den Achtzigern, dann wieder trägt sie den Soul in der Stimme. Bei den ruhigeren Stücken kommt ihre zerbrechliche Stimme allerdings am wirkungsvollsten zur Geltung. Mein Favorit ist neben der akustischen Balladen-Duett “Lydia behind the bars“der Song “Anytime and anywhere”, ein ganz einfach gestrickter, aber wirkungsvoller vor Kraft förmlich berstender Rocksong.

 

Afrob: Hammer

 

Während die Gäste am Mikro, unter anderem Max Herre, Lisi, Samy Deluxe und Joy Denalane, von nationaler Prominenz sind, holte sich der frühere “Kolchose”-Rapper Afrob für seine dritte Solo-CD Beats und Instrumentals aus der ganzen Welt zusammen: Producer wie Needlz, Megahertz oder Jaz-O (New York ) stehen neben Young RJ, Waajeed (Detroit) und dem Kroaten Dash auf der Liste der Helfer. “Es geht hoch”, “Supastar” und “Stopp die Party” gehen eindeutig am besten ab. Und: Wenn man die dümmliche Einleitung überstanden hat, kommt man zum wahren Kern: direkte Texte, spannungsgeladener, wummernder Street-Rap, und jede Menge karibische Einflüsse.  

 

Lou Barlow: Emoh

 

Lou Barlow, früher unter anderem bei Dinosaur Jr oder Sebadoh zugange, verlegt sich mit Emoh nahezu komplett auf die Singer-Songwriter-Schiene. Klare, einfache akustische Stücke sind das, und doch sind sie außergewöhnlich. In “Home” (das sich auch im Albumtitel versteckt) etwa meint man die Atmosphäre einer beschäftigten Industriestadt mit ihren kreischenden, wummernden Takten zu spüren, in Wahrheit liegt ein eigentümlicher Rauschteppich unter der verblüffend einfachen Melodie. Das sanfte “Legendary” ist bestens betitelt, das ebensoruhige “Puzzle” beweist, dass es manchmal wirklich nicht mehr als einer Gitarre und der Stimme bedarf. Und ein Lied wie “If I could” lässt niemanden kalt. Barlow bietet Akustik-Folk-Rock, wie es ihn nicht allzu häufig gibt. Wer auf ruhige Töne steht, sollte nicht nein sagen.  Schade nur, dass das magere Booklet neben der CD ein wenig abfällt.

 

16. März

Lisa Stansfield:

The moment

 

Lisa Stansfield? Genau, das waren zum Beispiel Partyfeger wie “The real thing”, “All around the world” und “This is the right time” - unmöglich, dass ein Popfan diese Hits nicht zur Kenntnis genommen haben könnte.

Jetzt ist Lisa Stansfield wieder da, vier Jahre nach ihrem letzten regulären Album, und zeigt sich mit einer etwas anderen Ausrichtung. “The moment” atmet deutlich mehr Soul als frühere Werke der kraftvollen Britin. Daran ist ihr neuer Produzent Trevor Horn nicht unschuldig, der zuletzt Seal, aber auch schon zahllose Popsänger zuvor auf Erfolg getrimmt hat. Er steht für einen glatten, aber umso verkäuflicheren Sound.

Böse Zungen nennen das “Belanglosigkeit auf hohem Niveau”, viele andere werden es einfach lieben: Traumhafte Balladen für das Candlelight-Dinner (“Easier”, “Say it to me now”) und die Schmuserei danach, dazwischen wecken immer wieder fetzige Disco-Schinken wie die schon gut durchgenudelte Single “Treat me like a woman” oder die locker- flockigen “The moment” und  “He touches me” das Rhythmusgefühl. Das Gros der Lieder stammen wieder von Stansfields Angetrautem Ian Devaney, überzeugend ist aber auch “He breaks down” von Prefab Sprout-Chef Paddy McAloon. Auch wenn man sich von den Texten keine tiefschürfenden Erkenntnisse erwarten sollte: musikalisch und vor allem stimmlich bietet Stansfield einiges: eine Handvoll veritabler Hits, die uns in den kommenden Monaten im Radio begleiten werden. Tipp: “Take my heart”.

 

Rufus Wainwright:

Want two

 

Er ist einer von Kritikers Lieblingen. Und spaltet doch die Musikwelt, die ihn entweder kitschig oder genial findet. Rufus Wainwright, Sohn des Grammy-nominierten Sängers und "singenden Chirurgs" Captain Spaulding in der 70er-Jahre Militärparodie-Serie M*A*S*H, Loudon Wainwright III, und der kanadischen Folksängerin Kate McGarrigle geht seinen eigenen Weg, und nimmt dabei musikalisch alles mit, was am Wegesrand liegt - ein mutiger Stilmix. Die CD beginnt mit fast meditativen Klängen, trägt dann und wann operettenhafte Züge und quillt an den meisten Ecken über vor Melancholie. Und manchmal beginnt der eigenwillige Songwriter mitten im Lied scheinbar einfach ein neues. Da gibt es das minimalistische, pianogetragene, dem verstorbenen Jeff Buckley gewidmete “Memphis Skyline”, in dem Wainwright unbändig viel Gefühl rüberbringt. “Old whore’s diet” dagegen klingt, und auch das ist wohl beabsichtigt, trotz flotter Rhythmen wie ein heimlicher Hilferuf aus einem schlechten Nachtclub. “Little sister” verbreitet Kammermusikflair, Rufus klingt mal wie Elvis Costello, dann wieder wie Leonhard Cohen oder wie David Byrne von den Talking Heads. Auch “Hometown waltz” will gar nicht recht ins Konzept passen; ein langsamer Folk-Walzer, wie gemacht für biertrübe Abende im Pub, eingespielt mit Mutter und Tante Anna Mc Garrigle sowie Schwester Martha Wainwright und Kusine Lily Lanken. Ein völlig irres Album, in das man ganz tief einsteigen muss. Entweder ist man dann geplättet und restlos begeistert oder man ist geplättet und entsetzt.

 

 

23. März

Esa-Pekka Salonen:

Wing on wing

 

Entlang des Vorurteils des typisch Finnischen erzählt der Komponist und Dirigent Salonen eindringlich. Mal klingt es eher betrübt-melancholisch und mystisch-düster - mit Sopran-Stimmen (von Anu und Piia Komsi), Sprachfetzen und Gemurmel wie aus dem Jenseits - untermalt, dann wieder explosiv und dramatisch. Doch auch die Lebensfreude kommt nicht zu kurz, denn im knapp 26minütigen Titelstück, geschrieben für die Eröffnung der “Walt Disney Konzerthalle”, Heimstatt des von Salonen geleiteten Los Angeles Philharmonic Orchestra, schimmern immer wieder Themen durch, die an Vivaldis “Vier Jahreszeiten“ erinnern. Eine spannende CD, die sich einem allerdings erst nach und nach erschließt.

 

 

The Telepathic butterflies:

Songs from a second wave

 

Irgendwo zwischen Byrds und Blur darf man die Telegraphic Butterflies nach Hören ihrer zweiten Cd einordnen. Schöne Tempowechsel, knackige Drums und eingängige, gar nicht so sehr von dne Vorbildern abgekupferte Melodien zeichnen die Stücke aus; ein Song fließt dabei geschmeidig in den nächsten. Dem Trio aus Winnipeg gelingt es anscheinend spielend, 60er Jahre Beat mit Britpop aus den 90ern zu verschmelzen, ohne dass das im 21. Jahrhundert ranzig klingt. Flott, leicht, gut, aber auch so, dass kein Stück so richtig hängenbleibt. Aber es bedarf nicht unbedingt eines Ohrwurms, um eine Platte zu mögen.

 

 

The Murphy Brothers:

Seekers Haven

 

Dass die Murphy Brothers mit “Picking up the pieces” beim deutschen Grand Prix-Vorentscheid letztlich keine Chance hatten, lag wohl weniger an ihrer Musik als an den besser mobilisierten Fans der Sieger  zwei Casting-Püppchen. Dennoch hätten es Steven und Andrew Murphy auch im internationalen Feld des Song-Contests schwer gehabt, denn für einen Durchbruch ist ihr Simon & Garfunkel-Folkpop mit leichtem Country- und Britpop-Einschlag noch zu brav und unauffällig. Die irisch-amerikanischen Brüder - die, so sagt es die Legende - in Berlin als Straßenmusiker entdeckt wurden und eine schwere Kindheit als unfreiwillige Mitglieder der brüchtigten “Children of god”-Sekte hinter sich haben, sehnen sich vielleicht gerade deshalb nach Harmonie und Wohlklang. In ihren Texten klingt auch heute noch Verunsicherung, die Angst vor Trennung und  zurückgewisener Liebe, aber auch die feste Hoffnung auf gute Zeiten durch. Das macht die Murphys sympathisch und gibt den Liedern mehr Tiefe, als man beim ersten Hören vermuten würde. Bleibt zu hoffen, dass sie sich auf ihre Ideen konzentrieren und sich nicht von Marketing-Gags wie Grand Prix-Teilnahmen oder Titelmusiken fürs  Privatfernsehen - die Single “The Game” wurde zur Titelmusik der Serie “Abschlussklasse 2005” - ablenken lassen. Zu sagen hat das Duo nach ihren Erfahrungen in den streng militärisch organisierten Camps der weltweit operierenden Sekte sicher noch genug. “Seekers haven” erscheint am 14. April.

 

 

30. März

Shania Twain:

Up! close & personal (DVD)

 

Shania Twain ganz nah - welcher Fan hätte das nicht gern? Die in intimer Club-Atmosphäre vor 300 Zuhörern eingespielte DVD “Up” bringt die wichtigsten Hits der Country-Rock-Lady und zeigt die Entertainer-Qualitäten der Künstlerin. Auf der Suche nach dem richtigen Draht zum Publikum redet sie zwischen den Titeln vielleicht manchmal etwas zu viel. Musikalisch jedoch bleibt bei dem etwa 60minütigen Konzert, das in Teilen auch schon beim Fernsehsender NBC lief, kaum ein Wunsch offen.

Perfekt begleitet von den mehrfachen Grammy-Gewinnern Union Station und Geigerin Alison Krauss aus dem Country-Lager, ist der Sound dann auch eher bodenständig denn poppig, wie man Twain vor allem aus den Hitparaden kennt. Die wichtigsten Hits wie “Up”, “Forever and for always”, “I’m gonna getcha good” und “You’re still the one” passen sich aber auch in diese Atmosphäre schön ein. Und als Zugabe gibt Twain noch eine prima umgesetzte Version des AC/DC-Klassikers “You shook me all night long” zum Besten. Der Auftritt selbst ist dagegen eher gediegen, fast statisch und irgendwie ungewohnt, aber sympathisch altmodisch. Das ist durchaus kein Zufall, denn für den Bühnenaufbau diente ein Elvis-Konzert aus dem Jahr 1968 als Vorbild.

Zum Bonusmaterial, das rund um den Auftritt, bei den Proben und hinter der Bühne,  entstand, gehört auch ein Interview. Schaut man vergleichbare DVDs an, hätte es hier ruhig noch etwas mehr sein dürfen.

 

Hanson: Underneath

 

Erwachsen sind die einstigen Kinderstars von Hanson zwar immer noch nicht so richtig, doch die drei Brüder aus Tulsa klingen, als hätten sie schon dreißig Jahre im Musik-Business hinter sich. Seit 1997 sind sie schon dabei und diese Erfahrung zahlt sich aus. Die 13 selbstgeschriebenen Songs auf “Underneath” sind ohne Fehl’ und Tadel, das Album ist dicht und stimmig, ihr gitarrenlastiger Pop mit gut abgestimtem Harmoniegesang ist nicht aufdringlich, aber einprägsam. Einen guten Eindruck von der Qualität der Songs gibt die erfolgreiche Single “Penny & me”. Schöner Bonus: die CD enthält drei Live-Video-Clips von der ebenfalls erhältlichen DVD.

 

Bill Connors: Return

 

“Yes, that’s Jazz”, spöttelte die Erste Allgemeine Verunsicherung einst in einem Sketch, der sich vor allem durch ein wildes Durcheinander von Tönen auszeichnete. Genau dieses Vorurteil hält wahrscheinlich viele Durchschnitts-Hörer noch immer vom Jazz-Hören ab. Bill Connors ist einer, der das ändern könnte. Er ist durch seine Zusammenarbeit mit Chick Corea und Jan Garbarek berühmt geworden, überschritt immer wieder die Grenze zu Pop, Funk oder Rock. Auf seinem siebten Soloalbum “Return” lädt er zu einer angenehmen Reise - fast schon einer luxuriösen Kreuzfahrt - durch die Welt des Jazz und der leisen Töne. Nun gut, ein bisschen guten Willen muss der interessierte Pop-Hörer mitbringen, doch dann eröffnet die CD ganz neue Sichtweisen

 

 

6. April

Calvin Russell:

In spite of it all

 

So könnte Bruce Springsteen heute klingen, wenn er es nicht darauf angelegt hätte, auch kommerziell erfolgreich zu sein. Calvin Russell aus Austin in Texas ist ein Vollblutmusiker, der mit 12 Jahren lernte, Gitarre zu spielen und mit 13 Gitarrist in seiner ersten Band wurde. Inzwischen ist er 57, dazwischen lagen viele unerfreuliche Jahre im Knast und als Tramp unterwegs irgendwo im Niemandsland des amerikanischen Traums. Vor gut zehn Jahren kam seine Musiker-Karriere endlich in Gang, langsam, aber stetig.

Während der Mann mit seinem vom Leben gezeichneten Gesicht in seiner Heimat mit seinen Country-Blues-Songs über den Geheimtippstatus nicht hinauskommt, wird er in Frankreich geliebt und in Deutschland mehr und mehr entdeckt. Das neue Werk “In spite of it all” -  was auf deutsch soviel bedeutet wie “trotz allem” - ist eine im Vergleich mit den Vorgängeralben recht rockige Platte geworden und sie lässt einen von der ersten Sekunde an nicht mehr los. Wer zweifelt, kann sich von “Oval room”, einer schnörkellosen Abrechnung mit dem US-Präsidenten oder von dem erdigen “Voodoo river” überzeugen lassen, das in der Machart ganz deutlich im Geiste von Jimi Hendrix steht. Und wer den ungeschminkten Texten zuhört, erfährt viel über das heutige Amerika und über das Leben des Lebenskünstlers und selbsternannten “outlaw rock  and roll soldier”. Denn wenn Calvin Russell singt, geht es immer auch - allerdings völlig uneitel - um ihn.

 

Such a surge: Alpha

 

Knackig wie gewohnt kommen die fünf Jungs von Such a surge auf “Alpha” daher. Heftige Gitarrenpolster dämpfen ab zum typischen Surge-Sound, damit die Stimmung ja nur nie zu fröhlich wird. Feine Metalriffs, kraftvoller Gesang zwischen wütend und verletzt und eingängige Melodien, die aber manchmal von der harten Instrumentierung eingeklemmt und untergebuttert werden. Die Texte sind überwiegend gehaltvoll, selten platt und heben sich so von so manchem HipHop-Crossover-Act wohltuend ab. Nur wenn es um die großen Gefühle geht, etwa in der Ballade “Alles was mir fehlt”, macht sich bei den sonst so bestimmenden Jungs leichte Hilflosigkeit breit - vielleicht ist gerade das authentisch.

 

Lindsay Lohan: Speak

 

Lindsay Lohan hat eine gute Stimme. Außerdem sieht sie ziemlich gut aus. Kann man ihr da verübeln, dass sie sich in ihrem Auftritt ausnehmend sexy gibt, um noch mehr Aufmerksamkeit zu erhaschen? Wohl kaum. Sollte sie sich dann in ihrer Single “Rumors” über zu viel Aufmerksamkeit beschweren? Wohl auch nicht. Abgesehen von solchen kleinen Heucheleien ist das Debüt der 18-jährigen New Yorkerin gelungen. Das Ex-Kinder-Model, inzwischen auch MTV-Moderatorin und Schauspielerin, profitiert von der Arbeit einiger Produzenten, die schon J.Lo, Anastacia und Bon Jovi gut aussehen ließen. Deshalb gilt: Lindsay Lohan ist frisch, frech und rockig - klingt aber irgendwie auch wohlbekannt.

 

 

13. April

The Paperboys:

Dilapidated Beauty

Als “Celtic Roots Soul” verkaufen die Paperboys aus Vancouver ihren eigenwilligen Sound zwischen Country, Irish Folk, mexikanischem Zydeco und amerikanischen Soul. Die Plattenfirma beschreibt die Mischung als Jam-Session von Van Morrison, Waterboys und Los Lobos. Man könnte auch Travis oder gar Runrig anführen, um die Richtung der Musik zu verdeutlichen. Doch wer der Band um den in Mexiko geborenen Sänger Tom Landa auf ihrer neuen Doppel-CD länger zuhört, entdeckt viel mehr als nur den Abklatsch anderer Bands. Das Beeindruckendste: Die Paperboys eignen sich zwar auch als leichte Hintergrundmusik, die man leise an sich vorbeirieseln lassen kann. Doch die Songs sind nicht belanglos, aufgeblasen oder platt. Sie treffen stets den richtigen Ton. In den unaufgeregten Texten der treffend betitelten ersten CD “Night driving”, die ruhig und eher folkig gehalten ist, geht es etwa um Schuld und Sehnsucht, enttäuschte Liebe oder häusliche Gewalt wie in dem bitteren Stück “By the hand of my father”. Mit “White noise lullaby” ist dem Quintett die wohl packendste (irisch angehauchten) Ballade gelungen, die in den vergangenen Jahren erschienen ist.

Auch der Titel von CD 2, “Saturday afternoons”, lässt auf den Inhalt schließen. Dort geht es mit Bläsern und viel Soul flott ab. Und allein der Opener “Perfect stillness” vertreibt schon alle Schatten, die “Night driving” heraufbeschwören könnte. Live sind die Kanadier übrigens  am 21. April in Fulda (Kulturkeller) zu sehen.

 

Moby: Hotel

 

Mobys neue CD ist, ähnlich wie der Vorgänger “18” aus dem Jahr 2002 eine Reise durch ein musikalisches Universum. Zeitweise klimpert der charismatische Klangbastler fast meditativ vor sich hin, und man könnte den Eindruck bekommen, dass diese Verschnaufpausen nur dazu dienen, die übrigen Stücke umso kräftiger herauszustellen. Fast alle Stücke - fast durchweg potenzielle Hits - atmen den Geist des New Wave. Das hört man bei “Raining again”, dem wummernden “Very”, auf “Beautiful” oder den sanften “Slipping away” oder “Love should”, am unmaskiertesten verewigt Moby seine Idole wie New Order, Depeche Mode oder Echo & the bunny men aber auf energischen Hymnen wie ”Lift me up” oder “Spiders”. Obwohl Moby auf Hotel erstmals völlig auf Samples verzichtet, fehlt der CD nichts vom typischen Moby-Sound, auch nicht Sängerin Laura Dawn, die den ruhigen Seiten des Moby-Universums wieder ihre Stimme verleiht, wie auf der New Order-Coverversion “Temptation”, einer zum Schmelzen schönen Ballade. Mit dieser CD fühlt man sich nicht nur im Hotel wohl.

 

Rhapsody: the magic of the wizard’s dream

 

Auch wenn es bislang nur eine Single ist: Die irre Kombination aus den italienischen Hartmetall-Rockern von Rhapsody und der beschwörenden Stimme der Schauspielerlegende Christopher Lee ergibt eine tolle Gänsehaut-Hymne - auch in einer deutschen Version. Mehr davon!

 

 

20. April

Ziska: Wo hier bitte gehts nach Shambhala

 

Ziska kennen Zeit- und taz-Leser vor allem als Comic-Zeichnerin. Sie schrieb allerdings auch Drehbücher und spielte in verschiedenen Bands. Ihr Solodebüt plätschert geradezu gefährlich unauffällig vorüber - dabei ist es ziemlich gut. Zuckersüße Melodien zu intelligenten Texten wie “Immer mach ich es kaputt, wenn ich glücklich bin”, viele gut genutzte musikalische Einflüsse, die einem in einer pulsierenden Stadt wie Berlin zufliegen, vom akkordeongetragenen Chanson “Moustache” bis zu orientalischen oder psychedelischen Klängen. Passt in die Schublade zwischen den Humpe-Schwestern und Luci van Org.

 

 

At Vance: Chained

 

Richtig schön pulsierende Rock-Klassik, das haben Gitarrist  Olaf Lenk und der Yngwie Malmsteen-Sänger Mats Levén auf “Chained” im Angebot. Ergänzt vom Ex-Helloween-Drummer Mark Cross und John ABC Smith am Bass zünden elf packende Hardrock-Melodien, die die Nähe zum bombastischen Art-Rock der siebziger Jahre suchen. Die Erstauflage der CD birgt zudem zwei Bonus-Lieder. Abwechslungsreiche Stücke, die solide komponiert auch ohne Verschnörkelungen auskommen. Da kann man nicht meckern. Das gelungenste Stück ist für mich eine Coverversion. Vivaldis “Winter” aus den Vier Jahreszeiten ist sehr liebevoll in den Rock-Modus transferiert, und Olaf Lenks Gitarre übernimmt den Solopart.

 

 

Peter Walker:

Landed

 

Wer Peter Walker zuhört, muss unwillkürlich den Vergleich mit Neil Young und seinen Crazy horse ziehen, zu ähnlich klingt das Album seinem Vorbild. Das ist nichts Schlimmes, kann für den Künstler allerdings zu einer großen Hypothek werden. Doch Walker versteht es, den Hörer mit eindringlichen Balladen und getragenen akustischen Road-Movies für sich einzunehmen. Anspieltipp: “Different kind of romance”, bei dem sich im Geiste zu Neil Young die Cowboy Junkies und die Beach Boys gesellen. diese Cd kann man bei der nächsten Nachfahrt in Bahn oder Auto gut gebrauchen.

 

 

Tommy Smith Sextet:

Evolution

Der schottische Saxophonist Tommy Smith ist eine lebende Jazz-Legende, deshalb ist es auch kein Wunder, dass er in seinem Sextett Könner seines Fachs wie Joe Lovano (Saxophon), den Gitarristen John Scofield, John Patitucci (Bass),  John Taylor (Piano) oder Bill Stewart (Schlagzeug) zusammentrommeln kann. Die sechs mitunter ausufernden Stücke auf “Evolution”, komponiert nach Gedichten von Smiths Landsmann Edwin Morgan, fangen dessen Stimmungen sehr präzise ein. Die CD ist für den Jazz-Anfänger vielleicht noch etwas zu unruhig, wer Berührungsängste mit dem Genre abgelegt hat, kann sich an den kristallklaren Kompositionen und dem Spiel der erstklassigen Instrumentalisten gütlich tun. Fans selbstredend auch.

 

 

27. April

Extrabreit:

Frieden

 

Extrabreit ist - ob man die Gruppe mag oder nicht - ein Faszinosum. Diverse Male totgesagt, haben sich die Punkrocker immer wieder lautstark zu Wort gemeldet, ohne Blatt vor dem Mund. Berührungsängste kannte die Band auch nie, weder beim Kriegsschlager “Flieger, grüß mir die sonne” noch bei Kooperationen mit Künstlern wie dem kürzlich verstorbenen Harald Juhnke. Doch während der Extrabreit-Sound bei “Hurra, hurra die Schule brennt” in den frühen Achtziger Jahren stehen geblieben ist, haben die Texte Fahrt aufgenommen ins neue Jahrtausend - was nicht heißt, dass sie vor 20 Jahren nicht auch schon aktuell gewesen wären. In der Regel geht es ums Überleben in trostlosen Vorstadt-Steppen (“Kein Traum”), das Manövrieren im Alltag des wehrhaften und überwachenden Staats (“Wo immer ich auch hinkomme, ist der Staat schon da”) oder des Zeitgeistes (Die Zeit macht nur vor dem Teufel halt”).Dass Extrabreit mit dieser CD schon den Frieden gefunden hat, ist nicht zu erwarten. Doch wer ein paar Hymnen braucht, um gegen das unangenehme Gefühl anzusingen, das einen zum Beispiel bei dem sich im Namen der Terror-Abwehr ausbreitenden Staat beschleichen kann, ist mit dieser CD gut bedient. Zumal sie mit der Single “Neues Spiel” auch Mut macht: “Es ist wahr / die Welt ist ungerecht /  aber wenn du dich jetzt hängen lässt, gibt’s erst richtig einen drauf / Neues Spiel, neues Glück / glaub an dich und komm zurück”.

 

 

Globalibre:

World Club Culture

 

Unaufdringliche Tanzmusik aus allen Winkeln der Welt, von erstklassigen DJs bearbeitet und zusammengemischt, damit macht die kleine Plattenfirma Audiopharm seit Jahren gute Geschäfte in der “Chill-Out-Kultur”. Nachdem beliebte, aber geographisch begrenzten Vorgänger-Sampler wie Afrotronic, Brazilectro oder Asia Lounge langsam den Neuigkeitswert verlieren, geht es nun einen Schritt weiter - die ganze Welt auf einer CD. Und wieder funktioniert das Konzept. Vebunden durch packende Beats verschmelzen die einzelnen Stücke von Salsa, Rumba, Afro- und chinesische Klängen bis hin zum deutschen Akkordeon-Reggae von Binder & Krieglstein zu angenehmen Einheit. Und wenn man vorher genug ausgespannt hat, kann man zum Abschluss der CD beim schicken Remix des James Brown-Klassikers “Sex Machine” wieder richtig Gas geben.

 

 

The Zinedines:

Take me take me

 

Große Namen verpflichten. Nach den Worten der Plattenfirma behandeln die Zinedines aus Spanien ihre Musik so elegant wie der gleichnamige Weltstar den Ball: hegen, sanft vor sich her treiben, den Gegner/Hörer umtänzeln, umschmeicheln und die Fans mit dem öffnenden Pass begeistern. Dem ist wenig hinzuzufügen und daran ist noch weniger auszusetzen: Leichter Poprock ohne Kanten mit psychedelischem Harmoniegesang und heftigen Anleihen an die 70er. Einfach nett.

 

 

4. Mai

MiLù:

No future in gold

 

Geheimnisvoll, sehnsüchtig und zerbrechlich flüstert und singt MiLù ins Mikrofon. Die mal kindlich-naive, lasziv und erotische, dann wieder süßlich-orientalische oder ganz klassisch angehauchte Stimme wird stets begleitet von einfach gestrickten, aber wirkungsvollen Großstadtklängen. MiLù ist Texterin und Stimme des Dance-Trance-Projektes Schiller. Sie experimentiert mit traditionellen Gesangstechniken der Samen (“Zeit”) oder mit klassischem Sopran (“Schnappschuss”). Mal klingt Björk durch, dann wieder 2raumwohnung oder Rosenstolz. Und wenn man will, erkennt man im abwechslungsreichen, durch Synthesizer wattierten, vorwiegend getragenen Popsound Chansonwurzeln und selbst Ansätze ordinärer Schlager. Peter Heppner unterstützt auf der Single “Aus Gold” gesanglich die angenehme Stimme von MiLù und trägt sein Scherflein zur Bekanntheit des Debütalbums bei.  

 

North Mississippi Allstars:

Hill country Revue

 

Nur wenige Worte genügen, um zu beschreiben, was auf der ersten Live-CD der kultig-urigen Mississippi-Blues-Rocker abgeht. Alligatorscharfer Sumpf-Rock trifft auf den Rhythmus von südstaatlichen Baumwollfeldern. Bei dieser kraftvollem Mischung die Beine ruhig halten - das geht nicht. Dagegen sind selbst die legendären Blues Brothers grüne Jungs. Vorsicht, Suchtgefahr!

 

Befreit: Lieder und Texte nach dem 8. Mai

 

Was ist in den vergangenen Wochen und Monaten nicht alles zum Kriegsende vor 60 Jahren erschienen, geschrieben und gesendet worden. Eine politisch korrekte, vielseitige und ganz ungewöhnliche Geschichtsstunde kann man sich mit dieser CD zu Gemüte führen. Konstantin Wecker singt über die Widerstandskämpfer um Sophie und Hans Scholl, aber auch über Golfkriegssünden. Der Lyriker und Sänger Diether Dehm bringt das Partisanenlied “Bella ciao” zum Vortrag.

Jeder muss selbst entscheiden, ob er die Ausführungen des Ökonomen Rudolf Hickel über die Wirtschaft vor, unter und nach Hitler so interessant findet, dass er sie immer wieder hören möchte - auch wenn sie sehr präzise sind. Andere Wortbeiträge, stets von dezenter Musik von Michael Letz oder der Jazz-Legende Albert Mangelsdorff an der Posaune begleitet, gehören allerdings in den anspruchsvollen Schulunterricht. Etwa der Auszug aus dem “Stellvertreter” des Schriftstellers Rolf Hochhuth, ein Dialog über die Schuld des Papstes in der Nazizeit. Willy Brandt und Götz George rezitieren die Friedenshynmne “Das weiche Wasser”. Eine Rede des Theatermanns und Ost-Tatort-Kommissars Peter Sodann gegen den Krieg im Allgemeinen und Pete Seegers “Sag mir, wo die Blumen sind” runden eine aufrichtige CD ab, die eins allerdings wohl auch nicht kann: künftige Kriege verhindern.

 

11. Mai

Lettuce: Outta here

 

Krautig, soulig, jazzig, und funkig: Die Bostoner Band Lettuce - wörtlich “Kopfsalat”, beim Bandnamen aber die lautmalerisch-umgangssprachliche Verballhornung von “Let us”, handelt nach selbiger Devise: “Lass uns loslegen, jammen, wilde Tanzmusik kreieren, für Menschen, die dem ordinären Discogewummere nichts abgewinnen können oder ohne musikalische Spanmnungsbögen und warme Saxophontöne nicht auskommen wollen. Eine perlende Mischung aus Klaus Doldingers Passport und James Brown, selbstredend ganz ohne Gesang und lästige ekstatische Soulschreie. Gut, wenn man entspannt ist oder sich mal richtig anspruchsvoll in Stimmung bringen lassen will - ganz ohne künstliche Hilfsmittel.  

 

Glen Brown & Friends:

Rhythm Master Vol. 1

 

Die Musik ist alt, die Plattenfirma, die sie ausgegraben hat, ziemlich neu. Das Label “Hot Pot” will die Werke guter und häufig unterschätzter Produzenten aus den Archiven ans Licht bringen. Der Reggae-Sänger Glen Brown hat die hier vorliegenden jamaikanischen Melodien und Riddims zwischen 1972 und 1976 zusammengepuzzelt. Noch heute sorgen die 17 teils nur variierten Reggae-Themen für schwerelose Glieder beim karibischen Mitwippen. Völlig unaufdringlich animieren die von dezenten Bläsern und Perkussionswerkzeugen getriebenen Songs zu sanft-wiegender Bewegung und breitem Grinsen.

 

The Concretes:

The Concretes

 

Die schwedische Band The Concretes entstand vor zehn Jahren als Stockholmer Mädchentrio. Heute ist eine achtköpfige fantasievolle, experimentierfreudige Band-Familie, auch privat eine Art Kollektiv, daraus geworden. Auf die Oberfläche des grauen Betons im Bandnamen zaubern die Musiker gleichzeitig mit ihrer umschmeichelnden Popfolklore zarte, aber bunte Blumen. Unnahbar, mit zerbrechlich verletzter Stimme kämpft sich Sängerin Victoria Bergsmann durch die sinnlichen Kompositionen und gibt jedem Stück eine besondere Atmosphäre, der man sich nur schwer entziehen kann.

 Nun gut, wer es lieber übersichtlich mag, sollte zunächst vorsichtig reinhören. Wer sich aber vorstellen kann, wie es klingt, wenn Doktor Schiwago walzerschnalzend auf Suzanne Vega trifft (“Warm night”) oder die Beach Boys mit Blondie und mit Blur (“Can’t hurry love”) jammen - und wer das auch noch mögen könnte, wird sich an den Concretes erfreuen. Das alles ist eine solch schräge Mischung, dass man gebannt vor dem Lautsprechern sitzt und der nächsten Überraschung harrt. Mein Favorit ist das lebensfreudige “Seems fine” mit schmissigen Bläsern, packender Melodie und viel Sommerfrische. Die CD wird darüber hinaus durch Extras aufgewertet, etwa durch das fein gezeichnete Video zu “Warm night”, ein Filmchen über die Band und ein paar Schnappschüsse.  

 

18. Mai

Funny van Dannen:

Nebelmaschine

 

Funny van Dannen - das sind zauberhaft einfache Ohrwurm-Melodien, zeitkritischer Sprechgesang wie einst bei Rio Reiser, zuweilen auch Anleihen bei Reinhard Mey und dem leicht monotonen Liedermacher-Singsang eines Wolf Biermann. Mancher empfindet die Musik von Funny van Dannen als anstrengend, weil sich Gesang und Musik zu sehr überlagern. Das macht einen etwas unfertigen, hektischen Eindruck. Die Musik ist allerdings nicht mehr als Teil der Inszenierung der van Dannenschen Texte. Da sind absurde Geschichten wie die vom bärtigen Delphin oder die vom Bundesadler, der vor seinem Job in Bonn/Berlin seiner Frau ziemlich auf die Nerven gegangen war. Da ist “Humankapital”, das in die richtige Musik gekleidet ungeahnte klassenkämpferische Dynamik entwickelt. Höchstform erreicht van Dannen, wenn er ein Loblied auf die zu wenig gerühmte “Infrastruktur” in unserem Land anstimmt, seine Zeitgenossen in “Mein Volk” treffend beschimpft oder sich watteweich ein “Gelingendes Leben” vorstellt. Wer nach einem harten Tag die Faxen dicke hat, kann sich mit der “Nebelmaschine” ausklinken. Spätestens, wenn man die Refrains von “Blutige Halme” oder “Haus aus Styropor” nicht mehr aus dem Kopf bekommt, hat einen der van Dannen-Virus dahingestreckt, man blättert mit einer Mischung aus Bewunderung und Befremden in den bizarren Zeichnungen des Booklets. Mit 23 Stücken und 75 Minuten ist die CD zudem gut ausgenutzt.   

 

Janine Jansen:

Vivaldi - Vier Jahreszeiten

 

Vivaldi light - die niederländische Geigerin Janine Jansen hat die Vier Jahreszeiten, das wohl weithin populärste Orchesterwerk des Barock-Komponisten Antonio Vivaldi (1678 - 1741) gnadenlos abgespeckt - mit verblüffendem Erfolg. Der Aufnahme mit fünf Streichern sowie Cembalo, Orgel und Theorbe (ein altes Lauteninstrument) fehlt im Vergleich mit vielen voll ausgestatteten Einspielungen nichts. Im Gegenteil: Nicht so versierte Ohren können die Feinheiten der Kompositionen - bis hin “zum bellenden Hund” - leichter heraushören als aus einem kompletten Orchester. Janine Jansen, die für die CD-Aufnahme auf einem Originalinstrument der Zeit spielte, einer Stradivari aus dem Jahr 1727, versteht es, aus 38 Minuten Frühling, Sommer, Herbst und Winter  einen glasklaren, zeitgemäßen Genuss zu machen, der auch Nicht-Klassik-Fans verführen kann. 

 

Rob Rock:

Holy Hell

 

Fast 20 Jahre ist Rob Rock bereits im Hartmetall-Geschäft. Er spielte mit vielen Metal-Größen, bevor sich der aus Florida stammende Sänger vor 5 Jahren mit seiner Solo-Band selbstständig machte. “Holy hell” zeichnet ein durchweg treibender Rhythmus aus, viel Melodie und vollmundiger Gesang. Eine CD wie aus einem Guss, ein musikalischer Kraftriegel ohne Wenn und Aber.

 

 

25. Mai

Les Babacools:

Mundo stereo

 

Wird es jetzt Sommer? Wie auch immer: Mit den zehn Musikern von Les Babacools lässt sich auch in geheizten Räumen fröhliche Sonnenstimmung verbreiten. Das Münchner Musikerkollektiv tritt seit zehn Jahren unter diesem Namen auf, hat sich europaweit einen Namen als excellente Liveband gemacht und verfeinert auf der inzwischen dritten CD sein selbstbetiteltes “Raggafunkin”-Konzept. Treibende Percussion, fein abgestimmte Bläser und vorwiegend spanische und französische Texte - das ist Reggae-Soul vom Feinsten, der manchmal ein kleines bisschen an die alten Spliff erinnert. Schon mit den ersten Takten wird man mitgerissen in einen Strudel guter Laune, breites, entspanntes Grinsen inklusive. Ganz nach dem Motto: “Regen? Ist das nicht eigentlich flüssiger Sonnenschein?” Selbst härtere Stücke wie “Manteca” oder der kraftvolle Rap “Killing” lenken von der freundlichen Grundstimmung nicht ab. Viele Texte sind durchaus politischer Art, gegen Korruption oder Krieg gerichtet, was man allerdings angesichts der fremden Sprache leicht überhören kann. Die meisten Stücke sind jedoch irgendwo zwischen Chill-out-Lounge und karibischer Strandparty angesiedelt und machen einen gleich eine Stufe “glücklicher”. Ein Höhepunkt ist der launige Gastauftritt der befreundeten Kollegen Gentleman und Jack Radics. Live kann man Les Babacools übrigens am 25. Juni in Frankfurt beim “Karneval der Kulturen” erleben.

 

Thanateros:

Into the Otherworld

 

Ausgehend von einem anderen Kulturkreis, aber nicht weniger energiereich, geht es auf der neuen Thanateros-CD zur Sache. Keltischer Folk trifft Metal-Riffs - das ist kein neues Konzept, aber es reizt immer noch zum Mitwippen. Unterstützung an den traditionellen Instrumenten Uillean Pipes, Tin Whistle und Bouzouki erhält die Band von den deutschen Irish-Folkern Midnight Court. Drei Traditionals verwertet Thanateros zu Hardrock-Versionen. “Siúil A Rún”, das instrumentale “Drowsy Maggy” und vor allem der Dublin-Klassiker “Dirty old Town” machen im neuen Gewand Spaß. Doch “Song as a kiss” und “Last Goodbye, langsame Rock-Balladen, die weder viel Irisches noch besondere Metal-Anteile enthalten, sind heimliche Stars der CD - Gefühl pur.

 

Rick Peckham Trio:

Left end

 

Rock, Blues und Jazz - das sind die Zutaten im Reinheitsgebot des Musikdozenten und Gitarristen Rick Peckham und seinen Mitstreitern Jim Black an den Drums und Tony Scherr am Bass. Auf dem neuen Album vereint Peckham auf der Telecaster den Geist von Jazz-Legenden wie Wes Montgomery mit dem Stil von Rockgrößen wie Jeff Beck und Neil Young. Heraus kommt ein aufregender, verblüffend schnörkelloser Mix, der sich prima durchhören lässt - ganz ohne Worte. Anspieltipp: das bluesig-erdige “Mr. Medium”.

 

 

1. Juni

Lee Buddah:

Frühjahrschronik

 

Lee Buddah alias Philip Stegers, bislang vor allem mit Soundtracks zu deutschen Filmen wie “Nichts bereuen” oder “Verschwende Deine Jugend” in Szene getreten, erzählt auch auf seinem dritten Album “Frühjahrschronik” einen Film - allerdings einen, den es nicht auf Celluloid gibt. Der Dortmunder, der in den vergangenen Jahren vor allem viel für andere schrieb, mixte und spielte, spinnt die Geschichte einer Trennung weiter, es ist die Geschichte von Andy und Julia, und dort vor allem die Zeit “danach”.

Die ruhigen, unaufgeregten Stücke wurden in Buddahs Dortmunder Hafenwohnung aufgenommen, genauer im 6-Quadratmeter-Bad, aus dem Tür und Waschbeckenunterschrank weichen mussten, damit überhaupt ein Schlagzeug reinpasste.  Musikalische Helfer waren ein Teil der ebenfalls aus Dortmund stammenden Band “Jelly Planet”.

„Allein zuhaus“ ist eine Coverversion und stammt im Original von der Düsseldorfer NDW-Band „Nichts“. Daneben sind Lee Buddah zehn einfühlsame eigene Stücke gelungen: Schlaue Texte, durchdachte Arrangements, eingängiger Pop und eine gehörige Prise Realitätssinn zum Mitsingen. An dieser Scheibe ist absolut nichts auszusetzen. Es ist zwar ein heimeliges  Low-Budget-Projekt, das aber nichtsdestoweniger hochwertiger kaum sein könnte. Mit der “Frühjahrschronik” kommt man anspruchsvoll und gut unterhalten durch den Sommer.

 

Chris Hillman:

The other side

 

Chris Hillman, das klingt ja gleich nach Country. Stimmt auch, aber nur halb. Denn der 60-Jährige bewegte sich in seiner Karriere stets zwischen Rockmusik, Country, Bluegrass und Blues. Und das merkt man seinem neuen Album an. Da wird gefidelt, gerockt, aber auch folkiger Songwriter-Pop ausgepackt. Dass er sein Album mit einer angenehm erleichterten Version des Byrds-Klassikers “Eight miles high” eröffnet, muss dabei nicht wundern, denn Hillman war einer der Gründer der stilbildenden Band. Auf seiner Visitenkarte tauchen viele weitere Musik-Größen auf, mit denen er gearbeitet hat, von Stephen Stills über die Eagles und Poco bis Roger McGuinn. Das alles zu betonen, hat Hillman indes nicht nötig. Denn wenn er auf “The other side” loslegt, dann spürt man die Erfahrung eines langen Musikerlebens und die nach wie vor vorhandene Spielfreude. Allerdings muss man echten Countryklängen gegenüber aufgeschlossen sein. Weichgespülten Pseudo-Country-Folk gibt es auf dieser ruhigen und entspannten CD nicht.  

 

Melotron: Wenn wir wollten

 

Melotron, das ist deutscher Elektropop, der immer verdächtig an Depeche Mode, Yazoo und New Order erinnert. “Wenn wir wollten”, das daneben auch “Venus” und Rio Reisers “Menschenfresser” enthält, ist der Vorgeschmack auf das neue Album, das Ende Juni erscheint. Sonnig, fröhlich, unbeschwert - allerdings auch nur mit überschaubarer Halbwertszeit.

 

8. Juni

Van Morrison:

Magic time

 

Ein magische Zeit - das verspricht “Van the man” auf dem 35. Soloalbum seiner mehr als 40-jährigen Karriere. Und hat Recht. Seine unverwechselbare, dadurch aber immer auch ein wenig ausrechenbare Mischung aus Rhythm & Blues und balladenhaftem Irish Soul greift erstaunlicherweise immer wieder aufs Neue, auch wenn er alle paar Monate eine neue CD auf den Markt wirft. Allerdings hat Morrison auf Magic time einen Teil der Zeit auch für Jazz-Standards wie “This love of mine” übrig gelassen, wohl im Nachgang seiner zuletzt eher jazzigen Grundstimmung. Wer unschlüssig ist, sollte in die typische Morrison-Ballade “Celtic new year” und das flottere, an Them erinnernde “Keep mediocrity at bay” reinhören - und wird wohl zum Portmonnaie greifen, denn Morrisons Qualitätsarbeit überzeugt.

 

Molly Hatchet: Warriors of the rainbow bridge

 

Geradeheraus wie eh und je drücken die Jungs von Molly Hatchet unter dem Namen einer männermordenden und liebeshungrigen Dame aus dem 17. Jahrhundert ihren unauffällig-guten “Shout-Rock” zum Mitgrölen auf die CD-Silberlinge. Nach mehr als 25 Jahren ist allerdings vieles eingefahren, die Erfolgsspur bei den Fans tief eingefräst. Um darüber hinaus die Menschen in ihren Bann zu ziehen, dürften es ruhig ein paar Experimente mehr sein. 

 

Stephen Malkmus:

Face the truth

 

Mit nervösen Tönen und verzerrtem Elektro-Geblubber eröffnet der Ex-Pavement-Sänger Stephen Malkmus sein drittes Soloalbum. Schnell gewinnt man aber die Übersicht und kann überzeugend eingängigen Melodien folgen, die mit den erklärenden Worten der Plattenfirma ganz gut getroffen scheinen: Psycho-Blues trifft Memphis-Funk. Das sanfte “It kills” ist ein schönes Beispiel für die wilde Mischung, die sich gewissermaßen durch die Musikgeschichte frisst und die erstaunlich reibungslos funktioniert. Zwischen den harmonischen Soft-Folk-Helden von America, Steve Harley und den Red Hot Chili Peppers angesiedelt, lässt einen das ausufernde Gesamtkunstwerk kaum noch los. Der Cockney Rebel-Chef Harley könnte indes auch bei “Mama” Pate gestanden haben. Das Spiel ließe sich auch bei anderen Stücken fortsetzen. So scheinen in “I´ve hardly been” The Cure und M. walking on the water  zu verschmelzen, das kraftvolle, acht Minuten lange Fast-Instrumentalstück “No more shoes” mit seinen intensiven Gitarrensoli atmet den Geist eines Jimi Hendrix und, man glaubt es nicht, Carlos Santana.

“Face the truth” - der Wahrheit ins Auge sehen, heißt die CD. Also gut: Auf den ersten Blick berühmten Vorgängern abgeschaut, beim näheren Hinsehen ein detailreich zusammengefügtes Puzzle aus Stilen, das richtig Spaß macht.

Weitere Anspieltipps: die discotaugliche Hymne “Kindling for the master” und das süßliche “Post-paint baby”.

 

15. Juni

Will Smith:

Lost and found

 

Will Smith gehört wie sein (zumindest musikalisch) englisches Pendant Robbie Williams zu den Typen, denen scheibar alles gelingt. Was sie anpacken, wird zu Gold. Fast jeder Auftritt im Film oder in Fernsehserien wie “Der Prinz von Bel air” brachten Mr. Nice Guy Smith Auszeichnungen bis zur Oscar-Nominierung ein, die Rap-Alben, die der smarte Smith seit der Schulzeit aufnahm, haben Platin-Rang.

Auch “Lost and found”, das neue Album, passt hervorragend in die Zeit. Nicht zu aggressiv, aber mit viel Kraft und Inbrunst fabriziert, immer mit einem Augenzwinkern, sich nicht zu ernst zu nehmen. Perfekte Party-Mucke, der man zuhören kann, aber nicht muss, um sie zu genießen. Die CD vereint 16 gleichwertige Songs, die aber abwechslungsreich genug sind, um den bei HipHop-Rhythmen traditionell vorhandenen Hang zur Eintönigkeit sicher zu überspielen. “Party starter” lebt etwa von seinem orientischen Einschlag, “Ms Holy Roller” von der Ironie in Smiths Stimme. Das Titelstück “Lost and found” schließlich ist vom unheimlichen, gefahrversprechenden Sound her zwar ein klassischer “Krimi-Rap”, im Text geht es allerdings mitnichten um Verbrechen und böse Buben. Und als hätte das alles für eine gute CD nicht gereicht, fährt Will Smith noch ein paar nicht ganz unbekannte Duett-Partner wie Mary J. Blige, Nicole Scherzinger (Pussycat Dolls) und Snoop Dogg auf. Eine kraftvolle und einfach coole Platte für den Sommer.

 

Ich + Ich:

Ich + Ich

 

Was Annette Humpe, heute 54, in ihrer Karriere gemacht hat, war eigentlich nur am Anfang so richtig öffentlichkeitswirksam. Nach Ideal und dem Nonsens-Pop-Projekt DÖF (“Codo”) blieb sie eher im Hintergrund und produzierte, unter anderem für Rio Reiser. Nun startet sie mit dem 27-jährigen Sänger Adel Tawil einen neuen Anlauf. Ich und Ich klingt zunächst, als käme es ein bisschen zu spät. Gleichwohl ist im neuen deutschen Herzschmerz-Lounge-und-Fahrstuhl-Musik-Reservat neben Rosenstolz und der von Anettes Schwester Inga geprägten 2raumwohnung noch Platz. Und nach einem etwas tapsigen Beginn lässt die Neue Deutsche-Welle-Ikone an ihren Songwriterqualitäten keinen Zweifel. Das unglaublich poetische “Felsen im Meer” und das aus dem Radio bekannte “Du erinnerst mich an Liebe” sind erstklassig. Bei manchem anderen Lied, vor allem, wenn es eher in Richtung Soulpop (mit Anklängen an die Mannheimer Naidoo-Schule) geht, passen die Stimmen des excellenten Tawil und der eher durchschnittlichen Sängerin Humpe nicht ganz so gut zusammen. Und bei so viel Gefühl und Feinsinnigkeit hätten ab und an ein paar natürliche Klänge mehr und elektronische Klangerzeuger weniger gut getan. So klingt Ich + Ich längst nicht so glatt wie andere Anbieter aus dieser Musikklasse. Das darf man getrost als individuelle Note würdigen.

 

22. Juni

Chris de Burgh:

Live in Dortmund

 

Obwohl der in Argentinien geborene Diplomatensohn Chris de Burgh in Deutschland immer seine treuesten Fans hatte, ist es keine Selbstverständlichkeit, den Iren in deutschen Hallen live zu erleben. Bis zum nächsten Mal kann die Doppel-CD von de Burghs Abschlusskonzert der “Road to freedom”- Tournee aus dem vergangenen Jahr in der Dortmunder Westfalenhalle aber durchaus über die Runden helfen. Denn auch wenn Chris längst nicht mehr in die stimmlichen Höhen vordringt wie in den Anfangsjahren seiner Karriere, wo einen das glasklare “A spaceman came travelling” wohlig erschaudern ließ, ist er noch immer ein inbrünstiger Geschichtenerzähler. Es ist sicher gewagt, die im Studio perfekt und opulent arrangierten Hits wie “Lady in red“  oder “High on emotion” auf der großen Bühne solo ohne Bandbegleitung anzubieten. Vielleicht macht das aber auch den Reiz dieser Platte aus, die irgendwie heimelig, eben handgemacht, klingt. Letztlich ist “Live in Dortmund” eine grandiose Rückschau auf 30 Jahre Chris de Burgh mit nahezu allen Hits des Schmusebarden. Besonders dankbar bin ich allerdings für die starke Berücksichtigung alter Stücke wie “The Getaway”, “The revolution” “Here the peaceful waters flow” oder “Don’t pay the ferryman”. Dort werden noch spannende Geschichten erzählt, während vieles, was danach kam, vor allem die Beliebigkeit des zum Chartstürmer verdammten Popsängers atmet und enttäuschend leer bleibt.

 

 Tapis Rouge / Cirque du soleil:

 Solarium

 

Tapis Rouge ist das erste Lounge Musik Projekt des Zauberzirkus “Cirque du Soleil”. Große Namen aus der elektronischen Musik stehen für einen wahrhaft spannenden Entspannungssound. Die die Thevery Corporation-Mixer Eric Hilton and Rob Garza etwa haben die Welt schon mit dem Soundtrack zu „Vanilla Sky“ und TV-Musik für „Sex and The City“ oder „Emergency Room“ beglückt. “Solarium” hingegen macht einfach nur glücklich. Inspiriert von dem Repertoire der “Cirque du soleil”-Shows muss man sich nur noch wonnig in  weiche Kissen plumpsen lassen und gleitet geschlossenen Auges in eine sanfte popjazzsoulige Welt.

 

Concerto Köln / Sarband:

The Waltz

 

Eine Grenzüberschreitung besonderer Art zeigen Concerto Köln und das türkische Ensemble Sarband. Hier stehen sich Mozart, Beethoven, Johann Strauß der Altere und der “Walzererfinder” Joseph Lanner auf der einen sowie die türkischen Sultan-Hofkomponisten Dede Efendi, Abdi Efendi und Cantemir im musikalischen Wettstreit gegenüber. Die westliche Musik fand nämlich ab dem 17. Jahrhundert großen Widerhall auch an osmanischen Höfen. Es ist auch für heutige Ohren noch verblüffend gut, was man dort aus dem Dreiviertel-Takt herausholte. Eine tolle Kulturbegegnung jenseits der mozartkugelrunden André Rieu-Walzerstimmung.

 

29. Juni

Ryan Adams:

 Cold roses

 

Anspruchsvolle Romantik, die zu mögen man sich nicht schämen muss - allein dafür dürfen Musikfans sich schon bei Ryan Adams bedanken. Auf seinem neuesten Tonträger, dem Doppelalbum “Cold roses”, verteilen sich insgesamt 19 hochwertige, entspannte Songs aus der musikalischen Galaxie von Eagles oder Crowded House. Und der Vielschreiber Ryan Adams will in diesem Jahr noch mehr neues Material auf den Markt werfen. Was nicht unbedingt not tut, denn allein an “Cold roses” hat man lange Freude. Die samtige Mischung fließt glatt wie aus einem Guss aus dem Schmelztiegel von Country, Slow Rock und Blues in übersichtliche Förmchen - keine Smash-Hits, aber feine kleine Juwelen, die auch einem Neil Young zur Ehre gereichen würden.

 

Krautrock Meeting (DVD)

 

Als der britische DJ John Peel vor 30 Jahren den Begriff des “Krautrock” prägte, war nicht absehbar, welchen Einfluss die so bezeichneten deutschen Bands auf nachfolgende Künstler haben würden. Auf dieser Doppel-DVD rocken Jane, Guru Guru, Amon Düül II, Epitaph, Karthago und Birth Control in einer Reunion aus dem vergangenen Jahr los wie früher. 217 Minuten Konzert, Interviews und Hintergrundinfos mit Künstlern, die nichts von ihrem Charisma eingebüßt und den Spaß am Live-Spiel bewahrt haben. Nicht nur für Nostalgiker. 

 

Dietrich Fischer-Dieskau: An die Musik / Melodramen

 

Er ist einer der ganz Großen. Und deshalb ehrt die Plattenfirma Deutsche Grammophon den Sänger Dietrich Fischer-Dieskau zu seinem 80. Geburtstag gleich mit mehreren Veröffentlichungen. Wer sich erstmals mit der auch für ungeübte Klassikhörer angenehmen Stimme des deutschen Vorzeige-Bariton beschäftigen möchte, wird zum Beispiel mit dem Doppel-CD-Porträt „An die Musik“ hervorragend bedient - zusätzlich gibt es eine DVD mit einem noch nie veröffentlichten Schubert-Liederabend von 1978 mit Sviatoslav Richter am Klavier. Ein imposanterQuerschnitt durch das Sängerleben, an seiner Seite die Schöpfungen von Schubert, Bach, Mozart, Mahler, Schumann oder Brahms - eine CD für einen wirklich gediegenen Anlass.

Ganz neu ist eine weitere Doppel-CD. Sie umfasst Melodramen von Richard Strauss, Robert Schumann, Viktor Ullmann und Franz Liszt. Fischer-Dieskau, der seine Gesangskarriere vor einigen Jahren beendete, rezitiert mit beeindruckender Stimme melodramatische Gedichte, darunter die von Richard Strauss vertonte Geschichte des Enoch Arden von Alfred Lord Tennyson, die Motive des Robinson Crusoe verwendet oder Rainer Maria Rilkes “Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke”. Gänsehautstimmung pur. Beide Neuerscheinungen sind reich bebildert und sehr informativ, die Melodramen gibt es zum Sonderpreis.

 

 6. Juli

Cristina Branco: Ulisses

 

Cristina Branco ist eine der wichtigsten Stimmen Portugals. Auf ihrem siebten Album erlaubt sie nicht nur Folklore-Freunden mal einen ganz anderen Blick auf die leidenschaftliche Traditionsmusik Portugals, den Fado. Genau genommen singt sie nur einen „echten“ Fado, das nur mit ihrer Stimme inszenierte „Gaivota“. Der Rest ist eine becircende Odyssee mit Wohlfühlgarantie. Neben zwei eigenständigen Coverversionen - Joni Mitchells Kanada-Hymne „A Case Of You“ und Mercedes Sosas „Alfonsina Y El Mar“ - begeistert Branco mit sanften Kompositionen aus klassischer Gitarrenmusik, Chanson und südländischem Folk, der zuweilen auch einen keltischen Einschlag nicht verleugnet. Und die unwiderstehliche Stimme der Portugiesin ist wie eine Klangmassage. Fremdzüngig, aber vertraut klingt das, die sehnsüchtig-melancholischen Songs nehmen mit auf eine Gedankenreise, an deren Ende eigentlich nur ein Schluss bleibt - erneut den Start-Knopf am CD-Spieler zu drücken.

 

Brazilectro / Session 7

 

Es ist heiß. Da kommt die Mischung aus südamerikanischen Rhythmen und kühler Electromusik gerade recht. Und obwohl der Brazilectro-Sampler bereits seine siebte Auflage erlebt, erfrischt er immer noch. Was natürlich an der guten Mucke von Mix-Meistern wie Richard Dorfmeister oder Rex Riddim liegt. Am coolsten klingt jedoch Otto mit “Pra quem ta Quente”.

 

Maria McKee:

Peddlin’ dreams

 

Es ist schon ein Weilchen her, seit Maria McKee mit dem Kuschelrock-Klassiker “Show me heaven” in den Charts ganz oben stand. Wenn man sie heute hört, ist nur noch wenig von diesem One-Hit-Wonder geblieben - im positiven Sinn. Denn auch wenn das Leben nach diesem Song für die Perfektionistin nicht immer einfach war, weil sie gar nicht daran dachte, eine CD nach der anderen auf den Markt zu werfen, blieb sie im Geschäft. Besonders viele Tonträger sind es aber bis heute noch nicht geworden.

Dennoch: Künstlerisch hat der “existenzsichernde” frühe Hiterfolg McKee eher weitergebracht. Gereift geht sie seitdem ihren eigenen Weg, ohne Rücksicht auf Chartpositionen. Mit “Peddlin’dreams” überrascht sie allerdings wieder einmal. Denn das Album ist im Vergleich zu den Vorgängern sehr schnell und spontan aufgenommen worden.

Schwermütiger Country-Folk ist wohl die beste Umschreibung der Musik, die die Ex-Lone-Justice-Sängerin anbietet und jeder einzelne Song ist ein Juwel. Ob die zerbrechliche Version von Neil Youngs ”Barstool Blues”, das in klassischer Songwriter-Tradition dargebrachte “Everone’s got a story” oder das fast überschäumende “How glad I am”: hier passt alles, obwohl Maria McKee es diesmal bewusst gar nicht so sehr darauf angelegt hat. Eine stimmungsvolle Dreiviertelstunde mit ehrlicher Musik. Was will man mehr? 

 

13. Juli

Sugarplum Fairy:

Young & Armed

 

Bei diesem süßlichen Namen erwartet man nicht unbedingt ein Quintett mit gutem Riecher für Rockmusik. Doch die fünf Schweden aus Borlänge sind zwar blutjung, aber ausgebufft, zumindest was die Songwriter-Qualitäten angeht. Nichts, was den 19 und 21 Jahre alten Brüdern Victor und Carl Norén aus der Feder fließt, klingt wirklich neu, aber da Sugarplum Fairy Versatzstücke aus nahezu allen Rockepochen gekonnt neu zusammenfügen, ist auch keiner der 13 kraftvollen Songs langweilig. Der Auftakt der CD mit “Stay young” bringt sonnige Britpop-Stimmung rüber, das rotzige “Morning Miss Lisa” hätte auch in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts seine Hitchancen gehabt. Die Debüt-CD strotzt vor packendem Lederjacken-Rock, der mal eher zu Oasis neigt, dann wieder die Stones (“Godfever”) oder The Who zitiert. Und die “Weichen” unter uns lässt die exzellente Ballade “Coming home” widerstandslos dahinschmelzen. Um diese vielversprechende Karriere anzuschieben, braucht es nicht einmal den Hinweis, dass den Brüdern Norén die Gitarrenmusik im Blut liegen muss. Schließlich ist auch der ältere Bruder Gustaf mit seiner Gruppe Mando Diao unter Rockfans kein Unbekannter. Mein liebstes Stück auf “Young& Armed” ist allerdings das wohl eigenständigste. “Sail beyond doubt” besticht nicht nur durch guten Aufbau, der dezente Mariachi-Sound im Hintergrund gibt dem Song noch den letzten Kick zur Sommerhymne.

 

 

Musica Antiqua Köln:

Telemann Flötenquartette

 

Was flötet da so schön? Nein, im Ernst: Für Telemanns Flötenquartette sollte man den Kopf frei haben, die Beine hochlegen, die Augen schließen und sich vorstellen, wie einem in einem fürstlichen Garten eine leichte, sommerliche Brise die Wange streichelt. Wem das zu heiß ist, darf sich auch vorstellen, er sei in einer kühlen Kirchenkapelle und lausche dem berauschenden Konzert eines Kammermusik-Ensembles. Reinhard Goebel und seine Kölner Mitstreiter von Musica Antiqua, in Sachen Telemann bereits mehrfach hervorgetreten, erfüllen auch diese beschwingte und unaufdringlichen Flötenquartette des Vielschreibers aus dem 18. Jahrhundert behutsam mit Leben. 

 

Amplifier:

Amplifier

 

Wenig Rücksicht auf die Gehörnerven der Hörer nehmen die gewaltigen Gitarrenwände, die Amplifier auf ihrem gleichnamigen Debütalbum aus dem Jahr 2004 aufbauen. Das wurde gerade wiederveröffentlicht und enthält zusätzlich eine EP mit Songs, die bisher nur in England veröffentlicht worden waren, sowie zwei Videos. Auch wenn Amplifier zu den härteren Gesellen im Rockbusiness gehören: Die harmonischen Kompositionen und der gefühlvolle Gesang dürfte auch weicheren Gemütern Freude bereiten. Also nicht abschrecken lassen.

 

20. Juli  

Spice:                             

69 Overdrive

 

“Groovy” und “Funky” sächselten einst die “Ö La Paloma Boys” vor sich hin. Diese Band hier darf diese Attribute hingegen mit Fug und Recht für sich in Anspruch nehmen. Und das ist auch ein bisschen traurig, denn Spice gibt es nicht mehr. Das Album, das rechtzeitig zum Sommer auf den Markt gekommen ist, hätte eigentlich schon vor vier Jahren veröffentlicht werden sollen. Doch die Trennung des Hannoveraner Tanzflächenfegers, der in den 90ern mit “The funkiest body in town” schon einen veritablen Discohit produziert hatte, kam dazwischen. 1997 begonnen, lag das Album bis zuletzt brach. Erst im vergangenen Jahr spielten die sechs Mitglieder der “Gewürz”-Combo in “Big blue sky” das definitiv letzte Stück einer hoffnungsvollen Band ein, die vor Jahren im Namensstreit selbst eine (später) nicht ganz erfolglose englische Mädchenband zur Umtaufe zwang: Die mussten an ihren Bandnamen noch ein “Girls” anfügen.

 Das Vermächtnis der souligen Funkband aus Hannover überzeugt jedenfalls in jeder Sekunde der Spielzeit. Weit entfernt von tumbem Discogetrampel, heben Bläsersätze nur da an, wo es Sinn ergibt, Sänger Martin Bettinghaus steuert gekonnt “Seele” und “Sex” bei. Und weil weniger mehr ist, nutzen Spice die Möglichkeiten der elektronischen Unterstützung, ohne zu übertreiben. Das macht das Album authentisch. Schön blöd, uns mit der Veröffentlichung so lange warten zu lassen. Noch blöder, die Band aufzulösen.

 

Anna Gourari: Désir

 

Russland ist das Land der schwermütigen Gefühle und der hierzulande oft unterschätzten Komponisten. Anna Gourari hat sich mit “Verlangen” (wieder einmal) an Alexander Skrjabin herangewagt und interpretiert seine verträumten Klavierstückchen mit Hingabe und angenehmer Zurückhaltung - mal sachte fließend, mal erfrischend und perlend. Natürlich kann mann diese Klaviermusik nicht nebenbei hören, man muss eintauchen, den Sonnenuntergang genießen, am Rotwein nippen, sich fallenlassen und sich wundern, wieviel man doch mit nur einer “Stimme”, der des Klaviers, ausdrücken kann. Ein eher aufwühlendes, dramatisches 11-Minuten-Stück der zeitgenössischen Komponistin Sofia Gubaidulina aus Kazan beschließt die hörenswerte CD.

 

Melotron: Cliché

 

Die ohrwurmige Single “Wenn wir wollten” war hier schon Thema, nun legt das Neubrandenburger Trio den Longplayer nach. Musikalisch nicht weit von Depeche Mode entfernt, textlich nicht ohne Grund im Vorprogramm der letzten Marianne Rosenberg-Tour erfolgreich, schweben Melotron ohne Netz und doppelten Boden zwischen Pop- und Schlagerwelt. Irgendwie schaffen sie den Spagat: “Alles gesagt” oder “Frei wie das Meer” sind intelligente Popsongs, die jeden Schlagertext in den Schatten stellen. Und die Peinlichkeit “Stirb für mich” bleibt ein einmaliger Ausrutscher auf “Cliché”.

 

 

27. Juli

Juanes:

Mi sangre

 

Juanes ist ein Traum. Ein hübscher, langhaariger Südamerikaner, der oberflächlich gesehen jedes Latin-Klischee bedient: Tanzbarer Rock auf lateinamerikanischer Rhythmusbasis, in den ruhigen Stücken mit leichtem Hang zu schmachtigem Italo-Pop. Mit seiner Mischung aus mitreißender Musik und emotionalen, durchaus sozialkritischen Texten bricht der Kerl aus Medellin seit drei Jahren in seinem Heimatkontinent und den USA jeden Verkaufsrekord, bringt Stadien zum Bersten und räumt einen Preis nach dem anderen ab. Jetzt erobert er mit seinem einprägsamen und aus dem Radio kaum noch wegzudenkenden Single-Hit “La camisa negra” und dem für einen Grammy nominierten Album “Mi sangre” auch den Rest der Welt. Und beweist dabei ganz nebenbei, dass es immer noch musikalische Schöpfungen gibt, die eine ganz eigene Nische im Markt besetzen. Denn auch wenn Juanes den Latinrock nicht erfunden hat, fügt er mit sicherer Hand - ohne platt zu wirken oder sich zu wiederholen - einen ungewöhnlichen Ohrwurm an den nächsten. “Nada valgo sin tu amor” und das kraftvolle “Volverte a ver” haben es wie “La camisa negra” so schon zu ordentlicher Bekanntheit geschafft. “Que pasa?” mit einer unverwechselbaren Bassfolge und leicht düsterem Touch ist ein weiteres Beispiel für das ungewöhnliche und doch merkwürdig vertraute Songwriting des smarten Kolumbianers. An Juanes führt in diesem Sommer kein Weg vorbei.

 

Grieg, Sibelius:

Peer Gynt, Karelia-Suite

 

Weltberühmte Klassik von einer Super Audio CD (SACD) zu hören, steigert den Hörgenuss beträchtlich. Denn damit lässt sich ein Raumklang für moderne Surround-Lautsprecher herstellen, der einem vorgaukelt, mitten im Konzert zu sitzen. Von der Firma Deutsche Grammophon gibt es schon eine Reihe solcher Neuaufnahmen, für einen Einstieg empfehlen sich zum Beispiel die empfindsamen nordeuropäischen  Tondichtungen des Norwegers Edvard Grieg mit seinen - auch “Banausen” zumindest aus der Fernsehwerbung bekannten Peer-Gynt-Suiten - oder des bei uns weniger bekannten Finnen Jean Sibelius. Hören könnte man die SACD, eingespielt vom Göteborger Sinfonie-Orchester übrignes auch auf einem normalen CD-Spieler - allerdings ohne den tollen Raumklang.

 

 OST: War of the worlds

 

Der Soundtrack zum Science Fiction-Klassiker, der wieder einmal die Kinos füllt, ist genauso, wie man es von Oscar-Abonnent John Williams erwarten kann. Dramatisch, an der richtigen Stelle zurückhaltend und packend. Anders als bei anderen Filmmusiken ist diese Musik allerdings nicht wirklich eigenständig: ohne die Filmbilder funktioniert der Hörgenuss nicht so gut. Deshalb ist der Soundtrack eigentlich nur etwas für die, die auch im Kino waren. Aber wer kauft auch schon einen Soundtrack, ohne den Film gesehen zu haben?

 

 

3. August

Olli Schulz & der Hund

Marie: Das beige Album

 

Ein durchgeknallter Name, teils verrückte, teils bewundernswert treffende Texte ohne Rücksicht auf Verluste - damit brechen Olli Schulz, Max Schröder (alias der Hund Marie) und Arrangeur Swen Meyer mit Macht in die Szene der deutschen Songwriter ein. Mit ihrem meist zurückhaltend instrumentierten Deutsch-Folk-Rock folgen die Hamburger den großen Spuren der Rio Reiser, Herwig Mitteregger, Bernd Begemann oder Tilman Rossmy, ohne jedoch dabei in ihren Fußabdrücken zu versinken.  Die Songs sind voller Sehnsucht nach der dauerhaften Liebe und gespeist von der Hoffnung, beim nächsten Mal endlich richtig zu liegen. Berührungsängste gibt es für das schräge “Duo” nicht. Der flotte Sound in “Die Ankunft der Marsianer” hört sich zum Beispiel verschärft nach den Countryschlagercowboys von Truck Stop an, doch der illusionslose Text von Olli und Co. lässt eine Verwechslung gar nicht zu. “Klappskalli” wiederum spielt mit typischen Soundelementen von Jethro Tull. Und in “Spooky girlfriend” seziert Olli Schulz mit eiskaltem Vergnügen und direkten Worten eine Liebesbeziehung, die eigentlich nur ein Missverständnis sein konnte. Und kurz vor Schluss entwickelt sich aus einer Interview-Parodie mit “Human of the week” unvermittelt ein kleines englisches Stück, das zum Motto der Olli Schulz-Show werden könnte: ”Der Mensch der Woche”. Eins ist allerdings schade. Die reine Spielzeit der CD erreicht gerade mal 35 Minuten.

 

 

Lene Marlin: 

Lost in a moment

Lene Marlin war schon gut, als sie vor sieben Jahren mit ihrer ersten Single “Unforgivable sinner” und ein Jahr später mit dem Debütalbum “Playing my game” die Charts stürmte. 1,8 Millionen CDs gingen vom Erstling über den Ladentisch, die damals 17-Jährige Norwegerin wurde vom öffentlichen Interesse und dem Starruhm überrollt und nahm sich schnell eine bewusste Auszeit. Erst vor zwei Jahren kam Album Nummer zwei heraus und nun, eher unabsichtlich, das dritte.

Eigentlich arbeitete Lene Marlin zuletzt an einem anderen Projekt mit den Hitproduzenten von Stargate (Mariah Carey, Cher, Mary J. Blige). Doch plötzlich lief es wie geschmiert, Song um Song floss aus der Feder, und statt mit ein paar Demosongs erschien die 24-Jährige mit einem fertigen eigenen Album bei ihrer Plattenfirma. Es macht Spaß, der weichen Stimme der nahe dem Polarkreis geborenen Sängerin zu lauschen, die nach eigenen Angaben glücklich war, als sie die neuen Lieder schrieb und einspielte. Kein Wunder, dass auf “Lost in a moment”, das Ähnlichkeiten zu frühen Cranberries-Songs nicht verleugnen kann, jedes einzelne Lied Sonne und fröhliche Stimmung atmet. Sicher, irgendwie sind das alles harmlose Pop-Liedchen, die nicht unbedingt eine lange Halbwertszeit haben dürften - aber auch das kann man ja ab und zu mal gebrauchen.

 

 

10. August

Michael McDonald:       

Motown two

 

Der Erfolg der ersten Auflage seiner Version von Motown-Klassikern hat Michael McDonald ermutigt, gleich einen zweiten Teil folgen zu lassen. Was nicht schlimm ist, weil es nun wirklich genug einschlägige Hits aus der Detroiter Erfolgsfabrik zu verwenden gibt. Auch diesmal sind also richtig gute Songs dabei, unter anderem mit “Reach out, I’ll be here”, “Stop, look, listen”, “Nowhere to run”, “Baby I need your lovin’” oder “Mercy mercy me” Welthits erster Güte.

Michael McDonald, als Keyborder der Doobie Brothers zu eigenem Ruhm gekommen, setzt den von ihm verehrten Groove-Künstlern der späten 50-er und frühen 60-er Jahre damit ein weiteres schönes Denkmal, ohne allerdings für seine Arbeit Begeisterungsstürme erwarten zu können. Seine markante Stimme und die ziemlich glatt arrangierte Songs aus dem Fundus von Four Tops, Smokey Robinson, Supremes oder Marvin Gaye lassen sich zwar gut hören. Sie profitieren zudem von Gaststars wie Stevie Wonder, Toni Braxton, Billy Preston oder Simon Climie. Und Hörer-Generationen, die mit Motown nichts mehr (oder noch nichts) anfangen können, wird McDonald für sich und seine weichen Coverversionen einnehmen können. Zu der Überzeugungskraft, der Explosivität und der Spannung der Originale ist es jedoch auch für den weißhaarigen Soulsänger noch ein Stück. Wer eine entspannte Stunde haben möchte, liegt dennoch richtig. Motown 1 und 2 gibt es auch als Doppelalbum.

 

Königwerq:

Königwerq

 

Nach dem furiosen Aufstieg, der die Gruppe aus Karlsruhe und Mannheim (mit Absolventen der Popakademie) innerhalb weniger Monate des Bandbestehens sogar zum Favoriten für die Vorausscheidung zum deutschen Grand Prix-Beitrag im Frühjahr machte, kommt das Debütalbum eigentlich schon fast etwas spät. Doch ganz offensichtlich hat es sich gelohnt, den Verlockungen des schnelllebigen Marktes zu wiederstehen und auf die 11 Stücke, die neben den hochgelobten Singles “Unschlagbar” und “König des Leids” auf dem Album erscheinen, genauso viel Arbeit zu verwenden.

Diese CD ist ohne Einschränkungen zu empfehlen, denn sie verbindet anständige deutsche Texte mit gut ausgefeilten Pop-Ohrwürmern. Für das gute Songwriting zeichnen in erster Linie die becircende Sängerin Dania König und Gitarrist Matthias Kiefer verantwortlich.

Anspieltipp: “Halt mich auf” ist insgesamt das stärkste Stück, ein mit Bass und gezielten Synthieklängen dramatisch aufgebautes “Vorsicht-Ich-verlasse-dich”-Lied. Es geht schließlich in einen fast fröhlichen Refrain über, der genausogut von Heinz Rudolf Kunze stammen könnte. Das überraschendste Lied ist jedoch “Vergib mir”, eine Ballade, die deutliche Anspielungen auf den Sound von Led Zeppelin oder Jethro Tull enthält.

 

17. August

Jansen & Kowalski:

Action

 

Die beiden Singles “Action”, eine pulsierende Club-Mitgrölhymne, und “Mamacita”, mit dem das Duo bei Stefan Raabs Bundesvision Song Contest startete, ließen für das Debütalbum von Jansen & Kowalski einiges erwarten. Nun ist der Longplayer des Hamburger Duos da und liefert solide deutsche Tanzmusik auf dem neuesten Niveau. Das ist vor allem textlich nicht immer gleichbedeutend mit hohem Niveau, aber das fällt bei der einfallsreich instrumentierten Musik gar nicht ins Gewicht. In “Du bist mein Star” umspielen zu einem sehnsüchtigen “Ich-will-dich-Text”weiche Flamenco- und Tangowölkchen die kühlen Synthieklänge. Auch das gehauchte “Mamacita” lebt vom südländischen Temperament und macht gute Laune. Mit der wohlgesteuerten Abwechslung von hippem Party-Rhythmus, harten Beats und auf der anderen Seite dem lammfromm-schüchternen Werben um die nächste Lebensabschnittsgefährtin steuert die CD auf ihren Höhepunkt zu. Jansen und Kowalski holen sich “das Bo” zur Verstärkung, wenn sie mit dem abgedrehten “Dicke Anbiete (Wie geil ist das denn?)” alles auf eine Karte setzen. Man merkt, dass mit diesem Stück der Markt und die Charts gestürmt werden sollen, allein dafür ist es produziert. Aber es ist auch ein mitreißendes Stück, perfekt abgestimmt und textlich geeignet, neue Modeworte zu kreieren - auch wenn im Refrain auch das uralte “Ge-ge-ge-ge-geil” recycelt wird. Das ist wahrlich eine “dicke Anbiete”.

 

Evan Foster:

Instrumentals

 

“Abzulegen unter Surf’N’Roll” empfiehlt der Aufkleber auf der CD. Und genau das ist die Musik von Evan Foster, der seit den 90ern mit seiner Band “The Boss Martians” auf der Welle frischer Instrumental-Rockmusik reitet. Auf dem Soloalbum, auf dem bezeichnenderweise auch wieder sein Boss-Martians-Partner Nick Contento auftaucht, brilliert Foster mit forscher, wirbeliger Gitarrenmusik, der sich kaum einer entziehen kann. Bestes Beispiel: “Cann of electrodes”, ein Ohrwurm, der den Bogen vom Rock’N’Roll der Sechziger Jahre bis heute spielend schafft. Immer wieder klingen die musikalischen Ahnen durch, etwa die Instrumentalkünstler von den Shadows oder die surfigen High Llamas. Auch ohne Texte eine meeresfrisch prickelnde Platte - gerade für Regentage.  

 

Motörhead: Stage freight -

Live in Düsseldorf (DVD)

 

Da kommt was zusammen: Ein furioses Konzert in der Düsseldorfer Philipshalle vom 7. Dezember 2004 mit vielen Klassikern und einigen seltener gespielten Stücken (“Dancing on your grave”), viel Bild- und Tonmaterial aus dem Backstagebereich von Lemmy und Co. und sogar ein paar Spielsachen für den PC. Rund vier ansprechend aufbereitete Stunden Motörhead auf zwei DVDs - was will der Fan mehr?

 

 

24. August

Jens Friebe:

In Hypnose

 

Mit seinem Debüt “Vorher Nachher Bilder” traf Jens Friebe vor einem Jahr schon den Geschmack vieler Kritiker, vielleicht auch, weil der Musik- journalist selbst Neuerscheinungen für das Magazin Intro beurteilt. Mit seinem deutschen “Pop mit Lidschatten”, wie ein Kritiker die leichtfüßigen, manchmal ein kleines bisschen schlagerschwülstigen Songs treffend definierte, sorgt der 30-Jährige für gute Laune. Die eingängigen, bissig bis lustigen Texte kann man in Kürze mitsingen, und man tut es mit zunehmender Freude. Denn gibt es eine schönere Liebeserklärung als “Ich möchte dir dienen und / Ich möchte dir Schnaps geben / Nenn mich Lawinenhund / Ich suche Leben”? Ganz nebenbei schafft Friebe mit “Die Theke mit den Toten” die schönste Anti-Fleischesser-Hymne seit “Ich ess Blumen” von den Ärzten. Schließlich hat er doch recht, wenn er singt: “Es gibt Öl, es gibt Mehl / es gibt Brot udn es gibt Wein / Doch an der Theke mit den Toten kaufst du ein”. Mit viel Liebe huldigt Friebe außerdem zwei Vorbildern, die er auf “In Hypnose” covert. “Es hat keinen Namen” von der “Regierung” wird mit Hilfe von Hermann Herrmann, des früheren “Regierungs”-Produzenten, zum elektronisch flirrenden Sommerhit. “Roadmovie to Berlin” von “They might be giants”dagegen ist das Betthupferl am Ende der Platte, nach einer dieser unsäglichen Zehn-Minuten-Pausen bis zum “hidden track”, die sich leider auch Friebe nicht verkneifen konnte.

 

Magdalena Kozena / Gluck:

Paride ed Elena

 

“Paride ed Elena” hat neben “Orfeo ed Euridice” und “Alceste”, den anderen großen Opern von Christoph Willibald Gluck, stets im Schatten gestanden. Eine hinreißende Produktion mit Magdalena Kozena und Susan Gritton in den Hauptrollen verhilft der tragischen Liebesgeschichte des Trojaners Paris und Helena, der Frau des Königs Menelaos von Sparta, jetzt zur verdienten Aufmerksamkeit. Und während man bei Pop-CDs oft mit mager gestalteten Booklets vorlieb nehmen muss, verwöhnt die Doppel-CD nicht nur mit der glasklaren Musik, sondern auch mit einem mehrsprachigen, informativen Begleitbüchlein inlusive des Operntextes.

 

Zero in on:

The oblivion fair

 

Rockmusik mit mystischem Touch klingt aus der italienischen Schweiz zu uns herüber. “Zero in on” lassen harmoniesüchtige und zugleich bombastische Kompositionen los, die sich mal dem düsteren Gothic Rock nähern, dann wieder in Popnähe driften, sich aber nie in einen dieser Töpfe stopfen lassen. Zu variabel ist die Mischung des Trios, das mit treibendem Schlagzeug und lenkenden Basslinien die wilden Gitarren immer wieder im Zaum zu halten vermag. Die Vorbilder wie Soundgarden und Nirvana lassen sich aber nicht ganz verleugnen.

 

31. August  

Camille:

Le fil

 

Wer im vergangenen Jahr Nouvelle Vague kennengelernt hat, kennt auch die verführerische Sängerin Camille. Alle anderen können die 26-Jährige in diesem Sommer solo für sich entdecken. Nouvelle Vague, das Projekt der beiden Franzosen Marc Collin und Olivier Libaux, machte mit der Neuaufnahme von Post-Punk und New-Wave-Klassiker im Bossa-Nova-Stil Furore, und eine der Sängerinnen war Camille.

Mit “Le fil” (Der Faden) lässt die Französin nun ihre zweite Solo-CD aus dem Sack. Darauf webt Camille ein unauffälliges Faden-Netz um den Hörer. Und erst beim dritten oder vierten Mal merkt man, wie sehr diese Musik einen schon gefangen und umgarnt hat. Sicher, es hat immer etwas mit Chanson zu tun, doch ohne Rücksicht auf Stilbrüche baut Camille auch afrikanische oder brasilianische Rhythmen (“Assise”) ein oder lässt elektronische Effekte kurzzeitig den Ton angeben. Sie experimentiert mit ihrer unglaublich eindringlichen Stimme, schreit manchen Song heraus wie Björk, um Momente später wieder ganz sanft ins Mikrofon zu hauchen oder ganz ohne Instrumentenbegleitung anzutreten. In dem als Kanon gesungenen “Vous” klingt sie gar wie ein Mix aus Schulchor und Al Jarreau, ohne dabei allerdings albern zu wirken. Um das Fadenwerk von Camille genießen zu können, muss man nur eins beherzigen: Man muss intensiv zuhören. Nebenbei mit einem Ohr lauschen geht nicht, dann prägen sich nur die schrägen Elemente ein.

 

Nova Express:

Exotischer Jahrgang

 

Deutsche Bossanova-Popmusik mit künstlich aufgetragener Patina: das vielleicht gewagteste Projekt kommt in diesem Jahr aus Düsseldorf. Dort steckten Studiomusiker, Arrangeure und talentierte Amateure ihre Köpfe zusammen und entwarfen eine gewollte Mogelpackung: ein gutes Dutzend Lieder, die es in den 60er Jahren hätte geben können, aber so nie gab. Sie verpassten den Interpretationen zeitloser Klassiker aus dem New York der 60er Jahre, aus Puerto Rico, Brasilien und der Karibik deutsche Texte in bester Schlagertradition. Der Unterschied ist: Die Texte sind aktuell und sie spielen nicht nur humorvoll mit dem Kitsch der Wirtschaftswunderzeit, sie sind um Klassen intelligenter als der Herzschmerz-Schmalz der guten alten Zeit. So machen Klassiker wie Bobby Marins “Is That Love?” als “Exotischer Jahrgang”  oder Brent/Dennis “Angel Eyes” alias “Südwind”) auch denen diebisch Spaß, die sich normalerweise nicht auf einen Nachmittags-Tanztee für die reifere Generation verirren würden. Wer die CD gehört hat, wird schnell zum Mitsummen und Mitpfeifen verdammt sein, wenn Nova Express  den “Sommer in Berlin” auf die Melodie von “Jazz Méditerranée” besingen oder zu “Nach dem ersten Bossa Nova” (“Can’t get over the Bossa Nova”) unwiderstehlich zum Mitwippen auffordern. “Voll auf dem Schirm” (Willie Rosarios “Watusi Boogaloo”) allerdings ist der Oberhammer - ein heißer Partyhit-Tipp, bei dem keiner ruhig bleiben kann.

 

7. September

Absynthe minded:

New day

 

Die junge Band des Singer/Songwriters Bert Ostyn aus Gent in Belgien war erst im Februar mit ihrem Debüt “Acquired Taste” am Start, und jetzt legt die verrückte Combo schon den zweiten Streich vor. Der Titel “New day” ist dabei durchaus wörtlich zu nehmen, denn die beiden CDs sind zweierlei Paar Schuhe. Der Erstling war voller verrückter Ideen und verband einen eigenwilligen Akustik-Pop-Folk-Punk mit mutig eingeworfenen Einsprengseln von Swing, Klezmer, und osteuropäischen Sounds. “New day” ist viel glatter, harmonischer und bluesiger geworden. Und ganz nebenbei ist sie eine der besten Platten dieses Jahres. Dass ich mit dieser Meinung nicht alleine stehe, beweist Ostyns Landsmann Tom Barman von dEUS. Der bezeichnete Absynthe Minded schon nach dem Hören der ersten CD als “das Versprechen für die Zukunft” und nahm sie als Vorgruppe mit auf Tour. Anspieltipps erübrigen sich, weil die Songs so gut zueinander passen, dass man ihnen einfach nur folgen muss. Wer sich an ein paar Namen entlanghangeln will, kann Ähnlichkeiten zu Paul Weller oder Ocean Colour Scene feststellen. Leichte Jazzpop-Balladen wie “Cascade” wechseln mit sehnsüchtigen Barpianoszenen, rockigen Tönen und geerdetem Blues. Und dann und wann kommen auch noch ein paar wilde Geigen durch. Ein wirklich feines Werk, das mit mehr als 60 Minuten Spielzeit mehr als 20 Minuten länger ist als das Debüt. Auch hier ist man also “erwachsener” geworden.

 

Who made who:

Who made who

 

Ups, das geht ja richtig ab. Disco, Funk, Surfsound Folk, das sind die Ingredienzen, mit denen die Dänen von Who made who auf den Tanzflächen abzuräumen gedenken. Tanzbar ist das auf jeden Fall, einfallsreich auch, und nicht zuletzt, anders als manche Vertreter der Originalstile, frei vom Verdacht der Peinlichkeit. So gewinnt Who made who noch den plattesten Italo-Pop-Arrangements und den künstlichsten Drummachine- und Synthiebeats eine zeitgemäße Seite ab. Dass die Musik vertraut klingt, liegt daran, dass die Band geschickt Details aus den 80er-Jahre-Hits aufgreift und zitiert. Anspieltipp: Das flimmernde “Cigar”.

 

Wagner: Der Ring des

Nibelungen 1976 (DVD)

 

Zum Opern gucken ins Kino: Dieses Motto galt für Klassik-Freunde in diesem Sommer in ausgewählten Städten, darunter auch in Marburg. Möglich machte das die Pleite von Leo Kirch, der sein liebevoll gepflegtes Konzert-Video-Archiv verkaufen musste. Nun kommen solche Schätze wie Bayreuther Wagner-Inszenierungen nicht nur auf die Kino-Leinwand, sondern auch nach und nach als DVD mit Zusatzstoff wie “Making of...” in die Läden. Den Anfang macht der “Ring” in der skandalumwitterten Fassung von 1976 - 100 Jahre nach der Uraufführung. 

 

 

14. September

Eric Burdon + Animals:

Athens Traffic Live

 

Das ist ein wahres Schätzchen. Eric Burdon, der alte weiße Mann des Bluesrock, mit seinen Animals auf der “My secret Life-Tour” in Athen. Dazu eine DVD, unter anderem mit bisher unveröffentlichten selbst produzierten Videos, lockerem “Geschwätz” des Meisters und einer Bildergalerie. Und das alles verpackt in einem hochwertig gestalteten Hardcover-CD-Büchlein - da bekommt man etwas für sein Geld. Doch zurück zur Musik. Ähnlich wie bei Van Morrison spürt man auch bei Eric Burdon live immer noch in jedem Augenblick, mit welcher Freude und Hingabe er auf der Bühne steht. Ob es Klassiker sind wie Chuck Berrys “Little queenie”, John Lee Hookers “Boom boom” oder eigene Standards seiner Karriere wie das zwölfminütige “Tobacco Road” oder “When I was young”: Man kann von dieser CD nicht mehr lassen, wenn man sie erstmal eingelegt hat. Charismatisch und mit unbändiger Kraft in der Stimme interpretiert Burdon wie eh und je Neues wie Altes, er variiert und jammt, und er macht aus dem Talking-Heads-Klassiker “Heaven” eine eindringliche, langsame Piano-Nummer, die neben “Tobacco Road” mit seinem ausgelassenen Finale zu den Höhepunkten der CD zählt. Mein Favorit ist aber der Leonard Cohen-Song “In my secret life”, der erst den Sprung auf das letzte Burdon-Album schaffte, nachdem die Aufnahmen schon abgeschlossen schienen. Burdon hörte den Song nach dem Studiotermin und war Feuer und Flamme. Das hört man.

 

Richard Hawley:

Coles Corner

 

Romantische Schrift auf dem Cover, romantische Melodien mit kleinen Country- und Rockabschweifungen: Richard Hawleys Album ist ein Seelenstreichler. Das fängt mit dem orchestralen Titelstück an, das auch ein Frank Sinatra nicht hätte besser in Szene setzen können und zieht sich durch das gesamte Album. “Coles Corner” ist Musik von einem jungen, modernen Songschreiber aus England, der hemmungslos unmoderne Musik aus 50er und frühen 60er-Jahren an unser Ohr dringen lässt. In der Tradition und stimmlich nicht weit entfernt von Roy Orbison, Elvis oder Dean Martin klingen die Lieder, obgleich brandneu, doch seltsam vertraut. Richard Hawleys CD ist altmodisch, aber nicht nur etwas für Nostalgiker.

 

 

Biohazard:

Means to an end

 

Der frühzeitigen Ankündigung, es sei das letzte Album in der 15-jährigen Bandgeschichte, muss man ja nicht Glauben schenken. doch dass sich die kompromisslosen Hardrocker von Biohazard diesmal noch einmal ordentlich ins Zeug gelegt haben, stimmt. Gesellschaftskritische Texte wie gewohnt, knackige Ausgestaltung der musischen Begleitung und eingängige Refrains. Die Kultband aus Brooklyn ist auf dem Höhepunkt ihrer Kunst.  

 

21. September

Debbie Deane:

Debbie Deane

 

Jazziger Pop mit weiblichem Touch ist spätestens seit Norah Jones wieder eine große Nummer. Die Leute mögen es und sie kaufen es. Auch Debbie Deane aus New York geht ein Stück in diese Richtung mit. Allerdings verzichtet sie ganz auf die Leuchtkraft bekannter Jazzpop-klassiker, die ihr am leichtesten Aufmerksamkeit und Spielzeit im Radio bringen würden. Im Gegenteil: Debbie Deane verlässt sich ganz auf ihr eigenes Songwriting, das hörbar von Vorbildern wie Carole King oder Joni Mitchell geprägt ist. Der Glaube an das eigene Können ist völlig gerechtfertigt, denn ihre Stücke sind geistreich und verbreiten, zurückhaltend instrumentiert und stimmlich erstklassig umgesetzt, einen seidigen Glanz der Eleganz. Sie lassen durch die teils nur mit Gitarre oder Klavier und Stimme in Szene gesetzten Häppchen auch noch Momente der Stille “zwischen den Zeilen”.

Debbie Deanes musikalische Mitstreiter gehören auch zur ersten Garde der Branche. Gitarrist Wayne Krantz (Steely Dan), Saxophon-Star Joshua Redman und Schlagzeuger Brian Blade, der schon mit Joni Mitchell arbeitete, veredeln Deanes Songperlen. Fazit: Debbie Deans Debütalbum ist eine “Wellness-CD” im besten Sinn - dabei kann man es sich hübsch gemütlich machen, die Augen schließen und sich von warmen und weichen Melodien sanft umspülen lassen. Anspieltipp: “Mother Mary”, eine Ballade, die in ihrer Einfachheit unter die Haut geht.

 

 

Bruce Cockburn: Speechless                

 

Nicht jeder mag die eindringliche Stimme des kanadischen Folksängers Bruce Cockburn und die provokanten Texte des engagierten Menschenrechtlers. Andere kaufen seine Platten vor allem deswegen. Dass das musikalische Können auf der Gitarre vielleicht nicht ganz so gewürdigt wurde, wie er es verdient gehabt hätte, mag ein Grund für eine reine Instrumental-CD gewesen sein. Dass Cockburn auch ohne Worte zu unterhalten vermag, beweist er hier mit virtuos eingespielten alten und neuen Liedern, darunter sehr rare Einspielungen aus seiner mehr als 30-jährigen Karriere. Eine entspannende CD mit klassischen Anklängen.

 

Chris Spedding: Click clack

 

Chris Spedding ist ein Hochkaräter in der Rockmusik - auch wenn viele mit seinem Namen nicht viel verbinden werden. Er spielte mit den ganz Großen wie Paul McCartney, Elton John oder Bryan Ferry Platten ein und sollte Mick Taylor einst als Gitarrist der Rolling Stones ersetzen. Das lehnte er ab und verlegte sich stattdessen darauf, Punk-Ikonen wie die damals noch unbekannten Sex Pistols zu pushen. Das neue Album des gefragten Produzenten strotzt nur so vor rockiger Lebensfreude, gemütlichem Blues und ein paar poppigen Melodien. Zur besseren Einordnung: Spedding gehört mit dieser CD in eine Schublade zu Neil Young, Nick Cave oder Lou Reed.  

 

28. September  

Luka Bloom: Innocence / Before sleep comes

 

Zwei Alben von einem der gefühlvollsten Vertreter der Songwriter-Innung - leider immer noch nur ein Geheimtipp. Luka Bloom, der Bruder des irischen Folkstars Christy Moore, geht mit “Innocence” den Weg weiter, der ihn auszeichnet hat und folgt seinem bewährten Rezept. Gitarre, weiche Stimme, dezent in Szene gesetzte Effekte und eine zurückhaltende Band, eindringlich erzählte Geschichten von einem, der in seinem Leben schon einiges erlebt hat. Die Auswandererhymne “City of chicago” ist einer der Bloom-Songs, den Christy Moore groß gemacht hat. Auf “Innocence” spielt Bloom den Song bezaubernd selbst. Er erzählt von “Salvador”, von “Zigeunermusik” und von den kleinen Wundern des Lebens und es macht Spaß, zuzuhören.

Während “Innocence” in jedem Plattenladen zu bekommen ist, kann man “Before sleep comes”, die zweite aktuelle CD nur über Lukas Homepage (www.lukabloom.com) bestellen. Das nur 29 minuten lange Werk spielte Bloom ein, als ihn eine Sehnenscheidenentzündung am gewohnten Gitarrenspiel hinderte. Noch leiser, klassischer und noch intimer als sonst, zupfte er in dieser Zeit die Gitarre und Stimme, da wird selbst Leonard Cohen blass. Traditionals wie “She moved through the fair”, “My singing bird” oder “The water is wide” stehen neben dahingehauchten Eigenkompositionen (“Camomile”). Wer sich hier nicht relaxed zurücklehnen kann, dem ist nicht zu helfen. Der Herbst kann kommen...

 

Tokio Hotel: Schrei                  

 

Endlich mal wieder ein Band, die richtig spalten kann. Blanker Hass und hingebungsvolle Liebe spricht zum Beispiel aus den Kommentaren, die in Internetforen nachzulesen sind. Klar ist: Die Teenieband aus Magdeburg hat schon eine veritable gemeinsame musikalische Vergangenheit vorzuweisen und ist somit keine durchgecastete Fernseh-Band. Klar ist auch: Die Marketingmaschine läuft auf Hochtouren, und die Songs gehen zu einem guten Teil nicht auf die Band oder Songschreiber und Sänger Bill Kaulitz zurück, sondern auf das Produzententeam. Dazu bedienen sich die Vier eines Outfits, das auf Widerstand trifft. Die “richtigen” Vertreter des Gothic Rock nehmen sie nicht ernst, andere reagieren ohnehin verstört auf schwarz lackierte Fingernägel und Piercings. Das alles schmälert aber nicht die musikalische Leistung der Jungs. Tokio Hotel treffen offensichtlich den Ton ihrer Generation, leicht aggressiv, ungeduldig, fordernd und nicht bereit, zu warten, bis man erwachsen ist. Deshalb kommen Texte wie “Gegen meinen Willen” über die Scheidung der Eltern, das freche “Jung und nicht mehr jugendfrei” oder der sehnsüchtige Hit “Durch den Monsun” auch authentisch rüber. Kräftiger Rocksound zieht sich durch die Songs und unterstreicht die Lebensfreude. Und die viel kritisierte Stimme des 15-jährigen Leadsängers verbreitet Charme gerade durch ihre Unfertigkeit.

 

5. Oktober

Jay-Jay Johanson:

Rush

 

Mit herzzerreißender Fistelstimme rührte der Norweger Jay-Jay Johansen auf früheren Platten oft zu Tränen. Melancholisch, nicht düster, aber als einsamer Rufer der unglücklichen Liebe - das ist die eine Seite des musikalischen Chamäleons. Auf “Rush” hört man einen anderen Jay-Jay Johanson. Einen positiven, energiegeladenen, der Gefallen daran gefunden hat, in die Achtziger Jahre-Welt abzutauchen, und der mit angenehm prickelndem farbigen, gar tanzbaren Pop wieder auftaucht.

Der beim Titelstück verdächtig nach 10cc mit “I’m not in love” klingt und dann wieder wie Jimmy Somerville (Communards). Der Versatzstücke von Depeche Mode und von OMD zusammenpuzzelt (“The last of the boys to know”), sich zwischenzeitlich in künstlichen Klangwelten tummelt, die einst Tüftler wie Vangelis und Alan Parsons Project erschlossen haben (“Mirror Man”, “Forbidden words”) und der an wieder anderer Stelle einfach an die guten alten New Order, The Catch oder The Cure erinnert. Der mit seiner Hommage an die eigene Jugend den Tanzboden in Schwung bringt und kurz darauf die Stimmung mit einer seiner unnachahmlichen Balladen wieder beruhigt - sich zwar durch die Intensität der Stimme aufdrängt, aber nie stört. “Rush”, das ist Pop aus der guten alten Zeit, vielleicht eine Spur gereifter,  weniger dem Synthesizer verfallen als viele Bands es vor mehr als zwanzig Jahren waren. In einem Wort - Edelpop.

 

 

Culcha Candela:

Next generation

 

Sieben Musiker aus fünf Ländern und vier Kontinenten: Culcha candela ist Multikulti-Musik aus Berlin, die sofort in die Beine geht und die Laune hebt. Ein Deutscher, ein Pole, ein Ugander, ein Koreaner und drei Kolumbianer machen Musik aus einer anderen Welt. Reggae, Salsa, afrikanische Percussion, Ska und HipHop mit deutschen, englischen und spanischen Texten, alles oft durcheinandergewürfelt, aber stets passend kombiniert. Wer auch nur ansatzweise karibische Klänge mag, wird sein Rhythmusgefühl nicht mehr besänftigen können. Unbedingt kaufen, das ist konservierter Sonnenschein.

 

 

van Dyk/Heppner:

Wir sind wir                   

 

Ein Deutschlandlied der nachdenklichen Art brachten Paul van Dyk und Wolfsheim-Sänger Peter Heppner bei der offiziellen Feier zum 15. Jahrestag der Deutschen Einheit zu Gehör. Eine Ballade, die Hoffnung geben kann, weil sie nicht nur die Aufbau-Mentalität beider Republiken würdigt, sondern auch aktuelle Befindlichkeiten und die weit verbreitete Ratlosigkeit nicht ausspart: “Ich frag mich/ wer wir sind / wir sind wir / aufgeteilt, besiegt und doch / schließlich gibt es uns ja noch / Wir sind wir / Das ist nur ein schlechter Lauf / so schnell geben wir doch jetzt nicht auf.”

 

 

12.Oktober

Montreal:

Alles auf schwarz

 

Max Power schlägt die Trommeln, Don Hirsch zupft am Bass und singt, genauso wie Gitarrist Yonas Farag. Der Hamburger Dreier Montreal rockt kompromisslos und sonnig los, als gelte es einen Punkwettbewerb unter Windsurfern zu gewinnen. Dennoch klingen die harmonischen Songs, denen man den Hinweis auf gewisse Ähnlichkeiten mit den Ärzten kaum ersparen kann, nicht aufdringlich. Das liegt auch an den kurzweiligen Texten, die zeigen, dass sich die Jungs nicht zu ernst nehmen. Bestes Beispiel ist das 11-Sekunden-Stück “Hardcore”: Da gibt es eine Sache / die mich an Hardcore stört / die Lieder sind zu kurz / hat man sich an eins gewöhnt / ist es auch schon vorbei.

 

 

Status quo:

The party ain’t over yet        

         

Man muss einfach bewundern, mit welch einfachen Mitteln Status quo über inzwischen vier Jahrzehnte die Fans begeistern. Einfacher Rock mit Boogie-Gschmäckle, immer irgendwie ähnluich und doch nie gleich - aber immer machen die Rockoldies gute Laune mit ihren geschliffenen Riffs, die jeder kennt. Höhepunkt auf dem neuen Tonträger sind bluesigere Stücke wie “The bubble” und Familiar blues”. Status quo ist wie Toffifee: weicher Karamel-Mantel, rundheurm sahnig, mit einem knackigen Kern.

 

 

Chumbawamba:

A Singsong and a scrap

 

Die gesellschaftskritische Musikkommune von Chumbawamba ist immer für eine Überraschung gut. Wenngleich es für Fans weniger überraschend klingt, was die vielköpfige britische Kultband auf “A singsong an a scrap” abzieht als für Menschen, die Chumbawamba in erster Linie von ihrem ohrwurmigen Pop-Welthit “Tubthumping” kennen. Eingängige Melodien und der typische Harmoniegesang fehlen natürlich auch auf dieser CD nicht. Allerdings geht es dort fast puristisch folkig zu, englische Traditionals und neue Songs der Gruppe fließen ineinander und machen die CD zum fein gesponnenen Akustikgenuss, der es textlich aber in sich hat. Zuhören und nicht vorbeirauschen lassen, ist da erste Bürgerpflicht.

 

 

David Garfield & Friends:

The state of things 

                

Wenn der umtriebige Musiker David Garfield Freunde um sich schart, spielen neben ihm Jazz- und Rockstars wie Michael und Randy Brecker oder Steve Lukather und Michael Landau. Was herauskommt, sind hervorragende Jazzrock-Instrumentals, die mal wie die Erkennungsmusik von Fernsehserien aus den 70er Jahren klingt, dann wieder die Nähe eines Jimi Hendrix oder eines John Coltrane suchen. Spannend und voller Überraschungen.

 

 

19. Oktober

The Rasmus:

Hide from the sun

 

Vor der Sonne verstecken, wie der Titel nahelegt, muss sich das neue Album von The Rasmus gewiss nicht. Das einzige, was man ihm vorwerfen kann, ist, dass es nicht noch einmal einen so durchdringenden Ohrwurm bereithält wie das eineinhalbmillionenfach verkaufte Vorgängeralbum “Dead letters” mit dem Riesenhit “In the shadows”. Die neue Scheibe ist trotz der auf hart gebürsteten Instrumentierung recht glatt arrangiert, ohne große Tiefen, aber auch ohne verheißungsvolle Höhen - selbst dann nicht, wenn Apocalyptica auf “Dead Promises” die Celli schwingen lassen. The Rasmus stellen mit dem schwierigen zweiten Streich all die zufrieden, die vor noch härterem Material kuschen und vom Mainstream-Pop gelangweilt sind. Massenkompatibler Finnenrock mit einer Messerspitze Foreigner-Sound.

 

 

Louie Austen:

Heaven’s floor

 

Ein Österreicher, der in New York und Las Vegas den Frank Sinatra-Style einsaugte, als Barsänger im Wiener Hilton perfektionierte und nun als Mittfünfziger auf flotte Clubbeats Klassiker wie “Heaven (is in the backseat of my cadillac)” schmettert. Diese EP kann alles: einen neuen Trend setzen - oder sang- und klanglos wieder verschwinden.

 

 

Else Lasker-Schüler:

Ich träume so leise von Dir                   

 

13 Frauen interpretieren die zarten Gedichte von Else Lasker-Schüler. Sehr unterschiedliche Sängerinnen wie Mieze von der Band Mia, Bobo (von den “White Wooden Houses”), Suzie Kerstgens (“Klee”), Elke Brauweiler (Paula), Schiller-Sängerin Milù, Regy Clasen, Katja Riemann und nicht zuletzt die Grand Dame des intelligenten Schlagers, Gitte Haenning, haben sich richtig reingekniet und aus den Vorlagen ganz feine Songs gemacht, die zwar sanft und poppig angelegt sind, aber nie schmalzig klingen. Das wiederum liegt zu einem Teil auch an den Texten, die sich in die Vertonung einpassen, als wären sie genau dafür geschrieben worden.

Was der CD fehlt - und das ist fahrlässig und schon ein wenig ärgerlich - ist ein bisschen Stoff zur Dichterin, die bis heute in der öffentlichen Wahrnehmung ein Schattendasein führt. Die Bücher der Jüdin Lasker-Schüler wurden im dritten Reich verbrannt. Sie selbst war eine Lebenskünstlerin, in ihrer Zeit eine schillernde Erscheinung, die eng mit ungleich berühmteren Zeitgenossen wie dem Maler Franz Marc oder schreibenden Kollegen wie Gottfried Benn oder Thomas Mann befreundet war. Zum 60. Todestag ist diese CD eine verdiente und alles andere als trockene Würdigung einer sensiblen Künstlerin: Lyrik in einer Form, die ihr ganz neue Freunde zutreiben könnte.

 

 

26. Oktober

Echo & the Bunnymen:

Siberia

 

Seit 26 Jahren sind Echo & the Bunnymen Synonym für intelligenten Pop mit Indie-Rockappeal. Mit mehr oder weniger großen Kreativpausen haben sie die Trends und Verfehlungen des Marktes überlebt. Und im Jahr 2005, vier Jahre nach dem letzten Streich, präsentieren sie mit dem “Siberien” betitelten Album elf Songs, die klingen, als hätten die Songschreiber Ian McCulloch und Will Seargant ihre Songideen aus den 80er Jahren in der russischen Einöde frisch gehalten. Ausnahmslos alle Songs bleiben im Gehör kleben und überzeugen, mit klaren Gitarren, unaufdringlichen, aber tief wirkenden Harmonien und griffigen Refrains. Anspieltipps: “Stormy weather”, “Sideways Eight”.

 

 

Marla Glen:

Greatest Hits live

 

Mit ihren Songs für die Werbung wurde sie zum Star, danach wurde es schnell wieder ruhig um Marla Glen. Die charismatische Frau mit der dunklen, manchmal quakigen Soulstimme war allerdings nicht untätig, wie sich an ihrer Best-Of-Live-CD ablesen lässt. Hits wie “Cost of living” oder “Believer” klingen live jedenfalls noch ein ganzes Stück lebendiger, Marla Glen zieht ihr Publikum mit der kraftvollen Mischung aus Soul, Blues, Jazz-Rock und Disco tief  in ihren Bann. 

 

 

Lucie Silvas:

Breathe in                

  

Starke Stimme, starker Song: Das bewies Lucie Silvas schon mit den Radiohits “Breathe in, breathe out” und “Nothing else matters”. Dass auf dem Album aber noch mehr Juwelen warten, konnte erahnen, wer den musikbewegten Lebenslauf der Engländerin kennt, die in Neuseeland aufwuchs und als Schülerin auf Gospel, Stevie Wonder und die Carpenters stand, während die anderen Mädels dem Billig-Pop von Bros verfallen waren. Die CD der Ex-Background-Sängerin von Gary Barlow besticht durch gefühlvolle Balladen und knackigem Bar-Rock zwischen Carole King und Vonda Shepherd. Bis man merkt, wie sehr das ins Ohr geht, ist es schon zu spät.

 

 

Blondie:

Live by request

 

Es ist doch immer wieder schön, von Blondie zu hören, besonders, wenn es so elanvoll und in gelöster Stimmung zur Sache geht wie auf dieser Live-CD, die die wichtigsten Hits genauso versammelt wie einige seltener gespielte Stücke. Herausragend ist sicher die coole Version des Reggae-Punk-Klassikers “The tide is high”. Eine unterhaltsame Zeitreise durch die Karriere der New-Wave-Helden. Zu dem Dutzend Live-Songs kommen zwei Bonus-Songs, dafür fehlt “Maria”, der jüngste Nummer 1-Hit der Blondie-Gründer Debbie Harry und Chris Stein.

 

 

2. November

Nadja Benaissa:

Schritt für Schritt

 

Schritt für Schritt, so scheint es, geht Nadja Benaissa ihren Weg. Früh aus dem Elternhaus ausgebrochen, bekam sie als 18-Jährige ein Kind und wurde anschließend trotzdem Gründungsmitglied der von der Musikindustrie kreierten Girl Band “No Angels”. Nach vier Jahren stieg Nadja aus und nahm den Fuß vom Gas. Mit 23 sagt sie: “Wir haben hart gearbeitet, doch mir sind unsere ersten Plätze in den Charts irgendwie fremd geblieben.“ Das zeigt gewisse Reife, mehr noch allerdings überzeugt ihr Solodebüt “Schritt für Schritt”. Langsamer Soul mit nachdenklichen Texten, samtweiche Balladen im Stile der “Mannheimer Schule”, irgendwo zwischen Edo Zanki und Xavier Naidoo, allerdings ohne Pathos und ohne “Mission”. Kernsatz ist der sanfte Refrain der Single: “Es ist Liebe, nur Liebe, die mich weiter bringt”. Damit ist alles gesagt. Einfach kuschelig.

 

 

Maren Noel: Voice of hope                  

 

Dramatisch und mystisch klingen die mit viel Elektronik und leichtem Groove zusammengepuzzelten Songs der Bremerhavenerin. Mit einer eindrucksvollen, wenn auch nicht wirklich ausgebildeten Stimme rezitiert sie Ethno-Chillout-Pop-Songs, bei denen natürlichen Instrumenten stets ein vom Synthesizer gewebter Teppich zur Seite gestellt wird. Das wirkt, ist manchmal aber ein wenig grob geschnitten. 

 

 

Barbra Streisand:

 Guilty pleasures                  

 

Jedes neue Album der “Grand dame” Barbra Streisand wird von den Fans schon vorsichtig wie ein Juwel entgegengenommen. Weil es Qualität verspricht und auch immer hält. Schon dem Cover der neuen CD sieht man an, dass diesmal aber auch BeeGees-Fans auf ihre Kosten kommen, denn Barry Gibb mischt stimmlich wie soundtechnisch so heftig mit, dass man eher das Gefühl hat, die BeeGees hätten Frau Streisand als Leadsängerin engagiert. Schmusiger Pop einer noch immer stimmlich herausragenden Diva, den sich wohl jeder Radiohörer vorstellen kann und der keinem weh tut. Nur wer den Gibb-Sound überhaupt nicht mag, sollte eine Bogen um diese CD machen.

 

 

Richard Thompson:

Grizzly Man (Soundtrack)

 

Noch tiefer in die Kissen kuscheln lässt sich mit Richard Thompsons Filmmusik zu Werner Herzogs “Grizzly man”. Wann der Film über das Leben des Naturfilmers Timothy Treadwell, der von einem Grizzly getötet wurde, bei uns in die Kinos kommt, ist noch unklar. Der  Soundtrack allerdings ist auch ohne die Bilder bewegend. Gitarre und Cello dominieren leise Stücke, die oft an Mark Knopflers “Local hero” erinnern. Ganz ohne Worte (bis auf das ergreifende Finale namens ”Coyotes” von Don Edwards), ganz leise, ganz natürlich - schön.

 

 

9. November

Robin Grubert:

Schön ist langsam

 

Wenn einer mit 28 Jahren schon einen absoluten Ohrwurm auf dem Kerbholz hat, sollte man auf sein Soloalbum gespannt sein. Nun gut, “Angel of Berlin” machte einen unbekannten Sänger aus dem “Talentschuppen” des Privatfernsehens zum Star. Und außer für Martin Kesici hat Robin Grubert Songs für Kim Frank von Echt, Chris Norman, Cosmo Klein und Sasha geschrieben. Das wird manchen abschrecken. Doch Gruberts eigene CD ist anders. Entspannt, positiv, ziemlich ruhig, manchmal bluesig, aber nicht zu dick aufgetragen und mit viel Augenmaß produziert. Kein 08/15-Samtpop, sondern intelligente Unterhaltung mit ordentlichen Texten. Langsam kann schön sein.

 

 

Goldrush: Ozona                  

 

Die Bandlegende sagt schon alles. Eine aufstrebende Band aus Oxford wird gepusht und schnell wieder fallengelassen. Auf einer Tour durchs US-Niemandsland verreckt der Band-Bus in einem Kaff namens Ozona. Und dort findet die Band, ganz unten angekommen, ihren wahren Sound. “Ozona” gibt einen Eindruck über die Entwicklung von Goldrush und die kann sich trotz der rührenden Geschichte durchaus hören lassen: Ein bisschen staubiger Countryrock, feine Popharmonien zwischen Travis und Calexico, sehnsüchtiger Gesang und viel Seele.

 

 

Jackie Leven:

Elegy for Johnny Cash         

        

Er ist einer der größten Geschichtenerzähler in der Musikbranche und doch kennt ihn kaum einer. Jackie Leven schreibt Jahr für Jahr eingängige folkige Popsongs, in die er mit verschiedensten Effekten tiefe Atmosphäre und Dramatik einzuweben versteht. Der 55-jährige Leven hat ein bewegtes Leben mit vielen Tiefen hinter sich. Er wurde überfallen, schlecht behandelt und hing zwischenzeitlich an der Nadel. Umso erstaunlicher ist, dass ihm immer wieder eine solche, in sich ruhende Musik gelingt

Diesmal geht es nicht nur im Titel um die Figur des Johnny Cash. In “Elegy” versetzt er sich in den sterbenden Countrystar,  in “Law of tide” singt Gastsänger Robert Fischer in Nick Cave-Manier ein Gänsehautstück ganz im Stile von Cash. Aufgenommen wurde die CD in Beirut, im Umfeld eines Welttreffens der Roma, zu denen auch Jackie Leven gehört. Der Schotte spielt mit griechischen Musikern, holt sich den schwarzen nordirischen Rapper Martin Okasili zu einem ganz starken Duett ins Studio und baut Viola und Akkordeon in seine eigenwilligen Lieder ein. Und dennoch klingen die Songs dieses Tausendsassas mit der schmeichelnden Stimme nie gekünstelt, nie überfrachtet. Man hat stets das Gefühl, als müssten sie genau so sein, und man fühlt sich mit den Songs eigenartigerweise geborgen.

 

 

16. November

Shaggy:

Clothesdrop

 

Orville Richard Burrell alias Shaggy aus Jamaika hat der Welt mit seiner leicht quakigen Stimme schon manchen Ohrwurm hinterlassen. 1993 landete er mit “Oh Carolina” seinen ersten Welthit, dem unter anderem “Boombastic” und zuletzt “It wasn’t me” folgten. Das neue Album klingt natürlich auch wieder nach seinem unverwechselbaren Dancehall-Reggae-Sound. Allerdings webt Shaggy diesmal noch mehr Stile ein. Da gibt es Tanzfeger wie den Clubhit “Ready fi di high”, einen durchgeknallten Pop-Reggae-Hiphop-Ohrwurm namens “Broadway”, das spannungsgeladene “Shut up and dance” oder die sanfte R&B-Nummer “Would you be”. Dazu kommen hochkarätige Gäste und Mitwirkende wie Nicole Scherzinger von den Pussycat Dolls auf den sexy Stücken “Supa hypnotic” und “Don’t ask her that” oder die Rhythmus-Helden “Sly & Robbie”. Einfach unwiderstehlich.

 

 

Rolf Zuckowski:

Hat alles seine Zeit                 

 

Nein, diesmal keine Kinderlieder. Doch genau das ist Zuckowskis Problem. Seine Kindermusik-Stimme ist für Erwachsene “verbrannt”, da nützen auch die netten, gefühlvollen, “erwachsenen” Texte nicht viel. Sänge sie ein Reinhard Mey, wäre das vielleicht anders. Davon abgesehen ist es behagliche Schlager-/Liedermacher-Musik.

 

 

Audiobullys:

Generation                  

 

Aus einer Nanca Sinatra-Nummer wird in “Shot you down” ein spannungsgeladener Schlagabtausch zwischen Elektro-Rock und dem balladesken Original. Und das ist, was die Audiobullys auszeichnet - sie fertigen flüssig ineinander passende Parallelwelten aus House, HipHop und viel Bass einerseits und zeitweise zuckersüßen Refrains mit eingängigem Pop-Appeal auf der anderen Seite. Eine tolle Tanzplatte, die irgendwie immer noch eine unerwartete Wende findet, wenn man glaubt, die Songstruktur durchschaut zu haben. Nicht ganz so poppig wie Moby, aber in der Art durchaus vergleichbar.

 

 

Mark Eitzel:

Candy ass

 

Der Chef des American Music Club führt mit seinen Solo-Geschichten ein Leben im Schatten des großen Musikbusiness. Dass dies der Qualität nicht abträglich sein muss, weiß man ja. Die große englische Zeitung “The Guardian” hält ihn etwa für den “größten lebenden nordamerikanischen Lyriker”. Wenn man seinen Songs über Antihelden lauscht, wie von dem, der seiner Ratte Lieder von Mariah Carey vorspielt, weiß man, warum. Es ist eine leise, melancholische Platte - teils akustisch, teils mit ordentlichen Drumloops versetzt. Aber Mark Eitzel deswegen als “Candy ass” - als “Weichei” - zu titulieren, würde einem im Traum nicht einfallen.

 

23. November

 

Chris Jones & Steve Baker:

Gotta look up

 

 

Zum letzten Mal erhob der Gitarrist und Songschreiber Chris Jones bei den Aufnahmen zu dieser CD seine Stimme. Im September, wenige Wochen vor dem Veröffentlichungstermin, starb er nach kurzer Krankheit. Mit seinem Partner Steve Baker hatte er zuvor für “Gotta look up” allerdings noch einmal elf wunderschöne Stücke eingespielt. Mal mit leichtem Countryeinschlag im Stile eines James Taylor, mal mit einem Schuss Akustik-Funk, der die Beine herausfordert, dann als satter Rhythm & Blues-Schmachter, sehnsüchtig interpretiert mit Harmonica und einer fabelhaften weißen Bluesstimme. Die wird künftig schweigen – immer nur so lange, bis jemand diese CD wieder auflegt.

 

 

Roger Waters: Ca ira           

     

Roger Waters kann auch anders. Das Gründungsmitglied von Pink Floyd war zwar schon immer für bombastische Klänge zu haben, doch eine große Oper musste man von ihm nicht erwarten. Die Erstauflage von “Ca ira” enthält neben zwei CDs und einem 60-seitigen Booklet auch einen DVD-Film über die Entstehung der Oper, die unter anderem gesanglich mit dem Bariton-Star Bryn Terfel besetzt ist. Waters tritt auch auf, sein Stimmchen wirkt aber wie ein Fremdkörper zwischen den Klassikstars. Dafür ist die Geschichte - es geht um die Französische Revolution, sehr schön umgesetzt.

 

 

Rihanna: Music of the sun                  

 

Keine Sekunde hält sich Rihanna auf ihrem Debütalbum mit musikalischem Vorspiel auf. Von der ersten Sekunde geht es auf dem Erstling der 17-Jährigen wummernd zur Sache. Ihr Single-Hit “Pon de replay” eröffnet den Reigen und macht gehörig wach, danach kippt die CD der Barbados-Schönheit zunehmend in Richtung Dancehall-Reggae und der verrät durchaus Ähnlichkeiten zum leicht künstlichen Sound von Bands wie UB 40. Rihannas Stimme und Songs sind in jedem Fall erstklassig, die Mucke geht einfach ins Blut. Keine Angst, es gibt auch Balladen zum Verschnaufen, wie das mit ungewohnten Tempowechseln ausgestattete “The last time”, das fast nackte “Now I know” oder das latinogetränkte Titelstück. Wohl dem, der in Evan Rogers auch einen der Songschreiber von Christina Aguilera an seiner Seite hat.

 

Klaus Schulze: Moonlake

 

Klaus Schulzes neue CD geht im Titel auf dessen Leidenschaft für den österreichischen Mondsee zurück. Dort hört man dem Klischee nach eher Dirndl-Musik als Schulzes epische Instrumentalkunstwerke. Doch die vier neuen Stücke der CD bestechen nicht so sehr durch esoterisch-sphärische Klänge als durch ihren pulsierenden Rhythmus. Sollte das wirklich zu den Menschen und der Landschaft am Mondsee passen, wird die Gegend definitiv unterschätzt. Die Musik jedenfalls hat etwas, das einen dabei bleiben lässt.

 

30. November

BAP: Dreimal zehn Jahre

 

Das war eigentlich klar: Eine “normale” Best-of-Sammlung, mit der man als Band keine Arbeit hat, weil die Lieder nur aus den Langspielplatten herausgezogen werden müssen,  würde es von BAP nicht geben. Da Wolfgang Niedecken aber durchaus traditionsbewusst ist, hat er mit seiner Band für seine “Best of” gesammelt - und 4 neue Stücke und 28 Bandklassiker neu  aufgenommen. Namhafte Gäste wie Xavier Naidoo, H-Blockx-Sänger Henning Wehland, Hubert von Goisern oder Laith Al-Deen veredeln die neuen Versionen, die zudem einen viel moderneren Sound haben als die gutmenschelnden Originale vor vielen Jahren. Das darf man getrost der vor einigen Jahren runderneuerten und verjüngten Band zuschreiben, ohne die Niedecken wahrscheinlich in der eingefahrenen Spur geblieben wäre.

Zum 30. Bandjubiläum werden auf zwei CDs auch Tabus gebrochen. Man singt auch Hochdeutsch, von Goisern bringt gar alpenländische Strophen in BAPs Kölner Sprachwelt ein. Es wäre aber auch wenig glaubwürdig gewesen, Thomas D. oder Meret Becker auf Kölsch singen zu lassen.  Für viele wird es nun das erste Mal sein, dass sie ein paar Textbrocken der Bap-Songs verstehen. Und die Gastsänger beweisen allesamt, dass das Ganze auch hochdeutsch funktioniert. Das ist eine CD, die über die bisherige BAP-Zielgruppe hinaus geht. Tipp: das heiße “Lena” mit Marta Jandova (Die happy), “Dir allein” mit Xavier Naidoo, “Verdamp lang her” mit Thomas D.

 

 

Texas: Red book                 

 

Texas entwickelt sich mehr und mehr zu einer mit allen Wassern gewaschenen Pop-Fabrik. Was in der Bandgeschichte recht rockig begann, ist spätestens mit “Red book “ zum Futter für die leichte Muse geworden. Das ist nicht zu verurteilen, denn zwischen Madonna und Kylie Minogue ist immer noch genug Platz, um innovative Hits zu produzieren. Getaway, das erste Stück auf der neuen Texas-CD ist so eins, das einem nicht mehr aus dem Ohr gehen will. Und es gibt weitere Beispiele: In den sehnsüchtigen Balladen “What about us” und “Nevermind” hat Sharleen Spiteri stimmlich Ähnlichkeit mit Kate Bush, für “Sleep” holen sich die Schotten in Paul Buchanan von “The Blue Nile” eine ideale Gesangsergänzung. Kein Geniestreich, aber solider Pop.

 

 

Ina Deter: Lieder, Leben, laut und leise (DVD)

                 

In den achtziger Jahren erneuerte sie die deutsche Rocklandschaft, als sie mit ihrem Song “Neue Männer braucht das Land” die Charts stürmte und so manchem weiblichen Rockmusiker erst den Weg ebnete. Auf einer zweiteiligen DVD kann man nun Anteil nehmen an dieser bemerkenswerten Musikerin, die eben nicht nur auf diese Zeit reduziert werden sollte. Ein eindrucksvolles Livekonzert von 1993, ein Doku-Film und Gimmicks wie ein Auftritt beim “Grand Prix d’eurovision” bieten tiefen Einblick in das wechselvolle Leben der Ina D.

 

 

7. Dezember

 

André Rieu:

Aus meinem Herzen

 

Es ist die entspannende Seite der Musik, die der moderne Walzer-König Abend für Abend auf die Bühne zaubert. Seine neue CD ist aber auch an den Ladentheken ein Renner. Vielleicht liegt das daran, dass Rieu diesmal einige seiner Lieblingsmelodien neu arrangiert hat - und das sind nicht nur Schunkelweisen. Neben klassischen Walzern wie “Im Weißen Rössl” zählt Rieu Musical-Hits aus “Cats” oder “My fair lady”, Schlager wie “Ob blond ob braun”, Charlie Chaplins “Limelight”, “Milord” von Edith Piaf oder das Traditional “Irish washerwoman” zu seinen persönlichen Favoriten. André Rieu wandelt einmal mehr traumhaft sicher zwischen Klassik, Volksmusik, großem Tanztee und Operette. Gute Unterhaltung. 

 

 

Al Jones: Bittersweet                 

 

Al Jones ist einer der vielen erstklassigen Bluesmusiker, von denen die große Musiköffentlichkeit nur selten Notiz nimmt. Zwar stand der Gitarrist mit vielen Größen der Welt, von Johnny Winter bis B.B. King, auf einer Bühne, aber eben immer nur im zweiten Glied. Wer sich vor den besinnlichen Tagen noch eine richtig fetzige deutsche Rhythm & Blues-CD gönnen möchte, sollte hier reinhören. Viel Orgel, eine mit unbändiger Energie zu Werke gehende Rhythmusabteilung, lässiger Gesang und Farbtupfer vom Saxofon oder Trompete. Das ist einfach lebensfroh.

 

 

Anna: Ins Gesicht

 

Anna Depenbusch hat eine Menge hinter sich gelassen, bis sie mit ihrem zarten Debütalbum zu verzaubern vermochte: Erste Band mit zehn Jahren, Backgroundsängerin bei “Top of the pops” und “The dome”, Schauspielerin in Hannover, Remixerin für Soundeffekte. Dann kam der Ausstieg aus der Hektik des Geschäfts und das Nachdenken, das sich gelohnt hat. 12 sanfte und liebevoll instrumentierte Lieder mit guten Texten. Tipp: “Heimat” ist nicht nur eine wunderschöne Ballade, sondern auch ein blitzgescheites Lied über das Gefühl des “Hierher-Gehörens”.

 

 

Nada Surf:

The weight is a gift         

        

Hier ist noch eine CD, die den kalten Nebel des Winters verscheuchen und die Sonne hervorzulocken vermag. Das New Yorker Trio schaufelt auf seinem dritten Silberling einen Gute-Laune-Garagenrock nach dem anderen aus seinem Studio. Allerdings: Die Songs kommen langsam, man muss sie schon ein paar Mal laufen lassen, bevor sich der Haken der Unwiderstehlichkeit im Gehör verankert. Wer aber erst das verblüffend einfache “Always love” gehört hat, kommt von dieser Band nicht mehr los. Poppiger Gitarrenrock ohne Schnickschnack und Hintergedanken, der sich irgendwo zwischen Travis, Coldplay, A-Ha und America einsortieren lässt.

 

 

14. Dezember:

 

Eros Ramazzotti:

Calma apparente

 

Nix wirklich Neues kommt vom Schmeichelitaliener Eros Ramazzotti. Dass der 42-Jährige damit immer noch auf der Erfolgswelle ganz oben mitreitet, zeigt, dass er den Geschmack seiner Fans nach wie vor schlafwandlerisch sicher trifft. Nur zwei Songs stechen etwas heraus: Der knackige Titelsong und das nicht weniger ergreifende Duett “I belong to you” mit Superstar Anastacia. Wer gesetzten Italo-Poprock zum Entspannen sucht, liegt mit “Calma apparente” zweifellos richtig. Er könnte allerdings auch zu jeder anderen Platte des charismatischen Sängers greifen. 

 

 

Paul Weller: As is now                 

 

Auch Paul Weller ist einer, der außerhalb seiner Fangemeinde nur selten Begeisterungsstürme entfacht. Und das, obwohl er unter anderem mit The Jam, Style Council oder als Produzent von Britpoppern wie Ocean Colour Scene ohne Zweifel zu den innovativsten Musikern des ausgehenden 20. Jahrhunderts zählte. Auf “As is now” greift er mit seiner eigenwilligen Mischung aus Bluesrock und dumpf-dröhnendem Disco-Funk einiges auf, was schon die Solowerke der 90er ausgezeichnet hat. Diesmal klingt das aber noch einen Tick lockerer. Und die Musik hat nichts von ihrer unbändigen Kraft eingebüßt. Manchmal scheint sogar ein Scheibchen Jimi Hendrix durch die voluminösen Gitarren zu schimmern.

 

 

Anne-Sophie Mutter: Mozart

 

Immer mehr Klassik-CDs tauchen in den Verkaufs-Charts weit oben auf. Dass dieses Doppelalbum dazugehört, zumal vor Weihnachten, kann deshalb nicht verwundern. Denn hier trifft das deutsche Geigenwunder auf einen der größten der deutschsprachigen Klassiker. Anläßlich des Mozartjahres zum 250. Geburtstag erscheint das Mozart-Projekt in drei Teilen. Den Auftakt machen die Sinfonia concertante und die fünf Violinkonzerte, die der beim gemeinen Volk im allgemeinen eher für seine Klavierwerke berühmte Mozart im Alter von nicht einmal 20 Jahren am Salzburger Hof ersann. Mozart, Mutter und das London Philharmonic Orchestra (diesmal ohne Dirigenten) - das ist Qualität, die man förmlich greifen kann. Auch für Laien ein Genuss.

 

 

Soundtrack: Almost heaven            

      

Eine nette Idee liegt Ed Herzogs Kinofilm mit Heike Makatsch in der Hauptrolle zugrunde. Eine deutsche Westernsängerin verschlägt es statt nach Nashville in die Karibik. Reggae und Countrymusik dominieren demnach auch den Film, zu dem jamaikanische Helden wie Toots & the Maytals, Patrice oder Gentleman ebenso beitragen wie Heike Makatsch mit ihrer eigenwilligen Interpretation von Countryklassikern wie “Jolene” oder “Country roads” - teilweise im Reggaegewand. Dazu gibt es stimmungsvolle Szenenmusik von Bill Frisell. Ein Erlebnis.