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Mehrdimensionale Patchworktextmusikmalerei mit eingebautem Überlebenselixier


 

  

Er war mit Selig einer der musikalischen Treiber der 90er Jahre in Deutschland. Mit TempEau, der Band danach, lief er mir kurz über den Weg, doch ehrlicherweise blieb Jan Plewka bis vor eineinhalb Jahren verlässlich unter meinem Radar.

 

Das ist nicht seine Schuld, sondern meine. Denn in den 90ern und auch danach interessierte ich mich offensichtlich einfach für andere Musik.

 

Und so brauchte es einen Auftritt in meiner Heimatstadt, um Jan Plewka endlich kennen und schätzen zu lernen. Allerdings war auch da noch weniger er es, der mich dorthin zog, sondern die Lieder, die er sang. Das grandiose Rio-Reiser-Programm und Jans Bühnenpräsenz in dieser Rolle machten mich binnen Minuten auch zum glühenden Fan dieses Sängers, der sichtlich den lebte, den er interpretierte – ohne ihn nur zu kopieren.

 

 Nach dem Konzert begann ich, wie es sich gehört, erstmal dem Künstler auf Instagram zu folgen. Und entdeckte ein Mann, der so viel mehr zu bieten hat als ein Etikett wie „Selig-Sänger“. Einer, der sich für Gerechtigkeit einsetzt und für eine faire, gute Welt streitet.

Der mit einer Hamburger Bio-Brauerei ein Bier braute, das „To Absent People” heißt, in Erinnerung an die, die nicht mehr hier sind. Jan Plewka hat auch das Etikett für die Flasche designed, und ein QR-Code hinten auf der Flasche führt zu einem Song, der einem verstorbenen Freund gewidmet ist – und dieses Bier sowie selbst gemalte „PlewCards“ verkaufte er in dieser Zeit, um sein geplantes Soloalbum zu finanzieren.

 

Weil ich eins dieser Biere gekauft habe, habe ich „Wer stirbt am schönsten?“ aus dem am 10. Oktober erschienenen „Eine Art Soloalbum“ schon vor einem Jahr als Demoversion hören und ins Herz schließen können. Und seitdem auf die Veröffentlichung der Platte gewartet. Es hat sich gelohnt.

 

"All die Städte sahen uns tanzen / Und wir tranken vom Bilderrausch 

Sahen die Welt im Großen und Ganzen / Und manchmal gab′s Applaus
Bald, bald sind wir zuhaus / Bald, bald sind wir zuhaus“

 

„Eine Art Soloalbum“ besteht aus wohlig temperierten Liedern, die einen liebevoll umsorgen, die die schweren Vorhänge beklemmender Räume mit einem Ruck öffnen können und die auch die Macht haben, grauen Tagen die Farben zurückbringen. Kurz gesagt: Jan Plewka hat mich gefangen und becirct wie wenig anderes in den letzten Jahren. Ich bin schwerstens begeistert und könnte mich immer wieder fallenlassen in die musikalische und textliche Patchworkdecke, die der Songwriter fast spielerisch leicht auf seiner neuen Platte zusammengefügt hat.

  

Die Rede ist von einem Dutzend Songs voller sprachlicher Kleinode und musikalisch stimmiger Stimmungen, sinnlich, oft melancholisch, auch dramatisch, sehnsüchtig, liebeskummerig, tiefgründig, rätselhaft, aber immer lebenszugewandt – geeignet als Pflaster für angegriffene und Pflegeemulsion für glückliche Seelen.  

 

Die Entstehungsgeschichte und das Drumherum dieser gut gereiften Veröffentlichung sind bemerkenswert. Ausgangspunkt waren rund 22.000 Songzeilen, über Jahrzehnte notiert in Lyrik-Kladden und Tagebüchern, irgendwie aufgespart all die Jahre und unveröffentlicht geblieben. Sie warteten offenbar nur darauf, neu kuratiert und wie kleine Puzzles zusammengefügt zu werden, mit Akribie und der Magie, mit der aus Wörtern Worte werden, aus Worten Sätze, die sitzen, die berühren, nachdenken, stolpern, rätseln, fühlen lassen.

 

"Geh nicht zu den Menschen / Schau nicht in die Höhlen / Durch ihre Fenster / In die Blicke der Irren
Wo willst du hin / Wenn die Welten verschwinden / Wer wirst du sein / Wenn du jetzt gehst
Verweile die Zeit / wilde schlaksige Windin / Bis der große rote Wind uns verweht"

 

Wenn Lieder das dann schaffen – einen Anstoß geben zum Denken, Fühlen, Berühren – dann haben sie alles erreicht, was geht – in so einer Zeit wie dieser.

 

Angefangen hat diese Herzens- und Fleißarbeit in der Pandemiezeit, als es Zeit in Hülle und Fülle gab für Künstler, aber zu wenig bezahlte Arbeit. Also wurde gesichtet, ausgeschnitten, rausgeschrieben, in eine Schatzkiste gelegt, gemischt, sortiert, zusammengefügt, verworfen und neu kombiniert, bis es passte. Unter dem Titel „Schnipsel-Makramee“ bastelte Plewka auch öffentlich über seinen Instagram-Auftritt an dieser Songkunst. 100mal zog er wild Textzeilen aus seinem Schätzkästchen, kombinierte sie spontan und sang sie mit Gitarrenbegleitung in die Handykamera – ein pfiffiger Content Creator mit einer besonderen Note.

 

„Eine Art Soloalbum“ heißt nun das fertige, recht bescheiden benannte Werk, das von innen glüht, glimmt und wärmt und einen musikalischen Edelstein nach dem anderen freisetzt. Das liegt auch an einer tollen musikalischen Begleitung, die seine Vision merklich zu teilen und umzusetzen versteht.

 

"Ein neuer Tag beginnt / Ein neues Lied erklingt
Ein alter Traum versinkt /
Und alles wird so sein / Wie es ist
Ein neues Licht erstrahlt / Wie von selbst gemalt
Macht vor nichts mehr Halt /
Und alles wird so sein / Wie es ist“

 

Vier großartige Gesangspartnerinnen hat er sich dazugeholt. Und für jede das passende Lied gewählt. Marianne Rosenberg „öffnet ihre Türen / Für Typen wie mich“, wie Plewka in „Nur, wenn du bleibst“ singt. Und sie singt das so brüchig und ehrlich, dass man kein Musikvideo dazu braucht, um sich die Szene in einer Dachwohnung mit dem offen liegenden Starkstromkabel ausmalen zu können. Ein brillanter (Pop-)Chanson alter Schule.

 

"Du kannst gern bei mir schlafen / Wie ein Schiff ohne Hafen
Und küss mich
Aber nur wenn du bleibst"

  

Lina Maly brilliert als rätselhafte „schlaksige Windin“, Mieze Katz von Mia ergänzt sich mit Plewka perfekt im Was-wäre-wenn-Lovesong „Hundertprozentig“. Und Jans schwedische Frau Anna steuert zum wonnevollen Liebesglückverlierenslied „Luxus“ einige sicherlich passende Sätze in ihrer Muttersprache Schwedisch bei (ich habe die Bedeutung noch nicht ergründet).

 

Ich habe gelesen, dass Jan Plewka sich trotz seiner erfolgreichen Karriere als Musiker lange nicht als echter Künstler akzeptieren konnte, eher fürchtete, ein „Bürger auf Irrwegen“ zu sein, „der vor irgendwas davonläuft“. Zum Glück hat er heute die Freiheit und das Selbstvertrauen, zu sagen, „das ist richtig, was ich tue, ich bin nicht falsch, ich bin dafür da, um der Gesellschaft zu dienen mit meiner Leidenschaft“.

 

Ohne diese Sicherheit – und die Geduld, es reifen und entstehen zu lassen, auch das selbst gemalte Artwork rund um die Platte als Teil des künstlerischen Prozesses zu begreifen – wäre ein so dichtes, berührendes Werk wie „Eine Art Soloalbum“ vielleicht auch nicht gelungen.

Am Ende passt Wolfgang Niedeckens berühmte Textzeile aus „Verdamp lang her“ hier wie die Faust aufs Auge: „Ich jläuv, ich weiß, ob de nu laut mohls oder leis, Kütt nur drop ahn, dat de et deiß.“

 

Und so stehen die Schlusszeilen auf der Platte auch für das, was auf dieser musikalischen Reise mit Jan Plewka passiert ist. Und vielleicht genauso mit jedem anderen, der diese Reise mitmacht.   

 

"Hier im Auge des Tornados / Ist nicht wirklich viel los
Ich leg die Hände in den Schoß / Und bete
Das erste Mal in meinem Leben /
Schein ich angekommen zu sein."