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Anleitung zum Sha-la-la

Räucherstäbchen, Lachyoga, Waldbaden – um zu sich selbst zu finden, gibt es unzählige Rezepte und Hilfsmittel. Mancher entspannt am besten mit einem guten Buch oder indem er sich beim Sport auspowert. Wenn aber jemand Musik als Balsam auf die gestresste Alltagsseele empfindet, sollte er oder sie der Achtsamkeitsinitiative einer kleinen Kölner Band eine Chance geben.


Fortuna Ehrenfeld bieten auf ihrer am 4. Juni erschienenen Platte „Die Rückkehr zur Normalität“ eine Therapie für alle, die – zu Recht oder nicht – schon lange nicht mehr so richtig Luft holen oder sie sich machen konnten. Doch nun, wo sich auch der Himmel in unserer Corona-Welt nach und nach aufhellt, kommt die Aufforderung zu ein bisschen Albernheit, zum aus vollem Herzen Lieder Mitkrähen oder die Hüften kreisen zu lassen, gerade recht.


„Schüttelt eure Hintern und singt den Frust weg“, sagt der eine Teil dieser Platte. Mit einer Stadionrock-Hymne („Das Imperium rudert zurück“), bei der man am Ende nicht weiß, ob sie Heroen wie Springsteen nur huldigt, ihre Attitüde weiterdreht oder nicht doch nur ein bisschen persi­fliert. Mit synthiegetriebenen Stücken wie „Die pana­moralische Liebe“ und „Glitzerfummel, Moonboots“ oder der entspannten „Rückkehr zur Normalität“ – alles energiegeladene Songs, zu denen man so manches aus den staubigen Kleidern schütteln kann.


Der andere Teil der zehn Songs fängt wieder ein, erdet, umschmiegt – mit chanson­esken Stücken, mit rauem Charme und Bar-Piano-Gefühlen („Die Durchnummerierten im Irish“) und gar Anleihen an romantisch-klassisches Liedgut („Grazie de la Kotze“), die man in der heutigen Zeit genauso wenig nebeneinander und ineinander verschränkt auf einem Popalbum vermuten würde wie Analog-Synthesizermelodien, die direkt aus den frühen 80er-Jahren herbeigebeamt worden sein könnten.


Im Fortuna-Imperium ist dieser etwas wahnwitzige, aber gekonnt eingesetzte Stilmix gewünscht und erlaubt. Genauso wie man dort mit vollen Händen ins Schimpfworte-Regal greifen darf – solange man sie nicht wütend wie Blitze in die Welt schleudert, sondern sie mit Anstand benutzt. Doch dazu später.

Musikalisch ist die Band längst von dem Einmann-Unternehmen Martin Bechler zu einem kreativen Trio zusammengewachsen. Die schnelleren Stücke sind noch ein Stück tanzbarer als auf dem Vorgängeralbum „Helm ab zum Gebet“, der Einfluss von Jenny Thiele (Tasten und Gesang) und Jannis Knüpfer (Rhythmus) wirkt sich besonders da deutlich aus, wo es poppig knarzt, wuppt, verzerrt, klopft und ploppt.
Weil es stilistisch keine Tabus gibt, nicht im Text und nicht in der Musik, macht es auch nichts, dass Martin Bechler für die Struktur der Songs einen aufgeräumten Werkzeugkasten hat, aus dem er sich immer wieder bedient. Die Architektur seiner Lieder ist durchaus wiedererkennbar. Das stört aber nicht, weil er nicht nur sicher im Verquirlen von Redewendungen und schiefen Sprachbildern ist, sondern auch darin, völlig verschiedene Musikstile neu zu verschrauben und so daraus immer wieder Überraschendes und Forsches zu kreieren.

 

Dazu gehört dann auch die Fähigkeit, selbst Schimpfworte lakonisch und liebenswert refrainfähig zu machen. Wer kann es Bechler übelnehmen, wenn er den Beleidigungs-Dreisatz „Arschloch, Wixer, Hurensohn“ zur prägenden Textzeile eines Liebeslieds gemacht hat? Probieren Sie es ruhig aus. Schwer wird es nur für Eltern, die ihrem Nachwuchs erklären müssen, warum solche Worte eigentlich tabu sind, aber vielleicht ein bisschen okay, wenn Fortuna Ehrenfeld sie singen. Eins ist klar: Es wird ein Höhepunkt jedes Konzerts werden, wenn das Publikum das im Chor summend anstimmt.

Dazu sollte man aber wissen, dass Martin Bechler diese Worte nicht als Selbstzweck und nicht als Provokation einsetzt. In einem Interview erklärte er die Idee dahinter. Diese drei Worte seien bekanntlich übliche Beleidigungen auf Tribünen in Fußballstadien, für Gegner oder Schiedsrichter. Das habe ihn genervt, daher wolle er sie denen entreißen, die sie vor allem mit Verachtung und Feindseligkeit benutzen und in einem anderen Kontext zugänglich machen. Und so klingen das A-Wort und die anderen Ausdrücke hier nicht verächtlich ausgespuckt, sondern liebevoll in die Welt entlassen, so wie man eine Seifenblase vorsichtig größer pustet, bis sie ohne Rückstände in der Luft zerplatzt.
Ins Radio werden es Fortuna Ehrenfeld damit dennoch weiterhin nur in Ausnahmefällen schaffen, weil man dort offenbar immer noch Angst hat, dass schockierte Hörer Ironie und Witz der Band nicht verstehen. Also bleibt nur die Chance, dass Fans und Freunde sich deren Songs in einem ihrer „Lieblingsknutschigroßstadtradios“ wünschen. Und bis dahin auf eigenen Tonträgern hören.


Fortuna Ehrenfeld: Die Rückkehr zur Normalität (Tonproduktion Records)

 

Disclaimer: Dieser Text erschien in etwas abgewandelter Version auch am 5. Juni 2021 auch in der Oberhessischen Presse)