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Pretty music, pretty people, pretty times (Fortuna Ehrenfeld)

Plattencover Fortuna Ehrenfeld, Helm ab zum Gebet (Quelle: Grand Hotel van Cleef)
Plattencover Fortuna Ehrenfeld, Helm ab zum Gebet (Quelle: Grand Hotel van Cleef)

 

Ich habe mein Umfeld schon mit meiner Begeisterung für die ersten beiden Alben des Kölner Musikers, Texters und Produzenten Martin Bechler genervt. Mit eher verhaltenem Erfolg. Wenn mein Sohn ins Auto steigt, sagt er als erstes: „Nicht schon wieder Fortuna Ehrenfeld!“.

Das kann man verstehen. Wenn man in den 2000ern geboren ist und die Anspielungen auf die gute alte Zeit vor Spotify ins Leere gehen (etwa ob „La Boum – die Fete“ einen Hauptdarsteller hat), genauso wie das spöttische Kokettieren mit den Merkwürdigkeiten des Hier und Jetzt (#KeineKommentare). Auch wenn man auf am Reißbrett geplante Pop-Stangenware à la Mark Forster oder Wincent Weiss steht, ist die neue CD „Helm ab zum Gebet“ nichts. Oder wenn man nicht den gleichen Humor hat wie die inzwischen zum Trio zusammengewachsene „Reisegruppe Seltsam“. Oder ihn nicht wenigstens versteht. All die könnten leicht verstört vor dem Werk von Fortuna Ehrenfeld stehen. Dennoch empfehle ich es jedem, der ein Herz für liebevolle und durchdachte Musik hat.

 

Denn das ist nicht nur, aber besonders Musik für Leute, die in den 80er Jahren jung waren und/oder für Durchgeknalltes, kleine Disharmonien, Dada-Texte und rauhe Musikoberflächen ausreichend vorbereitet sind durch Punk, New Wave und Neue Deutsche Welle-Erfahrung. Wer in der glattgeschmirgelten Pop-Welt der Biebers, Sheerans und Giesingers sozialisiert wurde, muss sich da erst mal einarbeiten. Oder scheitern und abschalten.

 

Was nicht heißt, dass Fortuna E. kalte, alte oder distanzierte Musik machen würden. Im Gegenteil: Den Songs wohnt ein entspannter warmer, oft zärtlicher Grundton inne. Der Rückgriff auf alte Synthesizer, auf schräge Effekte und die fehlenden Hemmungen, Stile zu schütteln, gemeinsam durch den Wolf zu drehen und in eine einfache melodische Sprache zu gießen, macht den faszinierenden Sound aus.

 

Diese ungekämmte Musik und die verschroben-verflochtenen Texte machen Fortuna Ehrenfeld einzigartig. Fein gesponnene Philosophen-Poesie („Die Nacht lackiert die Stunden, der Tag schleift sie dann ab“, „Hör‘ endlich auf zu werden, fang‘ endlich an zu sein“) steht neben kompletten Nonsens-Versen („Wenn Sicherungen Federn hätten, könnten sie nicht fliegen“) und Mischungen aus beiden („Und die Morgensonne prügelt auf die Bäckersfrauen ein“). Zur Unterscheidung, was was ist, muss man schon aufmerksam hinhören. Oder es einfach geschehen lassen.

 

Mal klingt das aufgekratzt („Tequila“), dann wieder nach purer Melancholie („Heiliges Fernweh“, „Guten Morgen, Ehrenfeld“). Ein Vergleich mit Tom Waits liegt gerade bei letzterem Stück nah – wegen der Schnoddrigkeit des gesamten Songs, nicht wegen der Stimme.

 

Nicht alles erschließt beim ersten Mal, das gilt besonders für diese Band. Und überhaupt: Um das, was alle machen, scheren sich Fortuna Ehrenfeld nicht. Auf der zweiten Platte ersetzte eine simple Spieluhrenmelodie zum Beispiel den gesungenen Refrain („Nach Diktat verreist“). Und auf der neuen CD reicht der Satz „Hör‘ endlich auf zu jammern, danke!“, um ein Instrumentalstück mit einem gewissen Sinn zu erfüllen.

 

Wenn man sich darauf einlassen kann, tut das so gut, dass auch man bewusst eingestreute Stör-Einlagen wie das anarchische und herausfordernde  „Das ist Punk, das raffst du nie“ oder die unsinnige Kurzgeschichte von der „Helium-Sabine“ routiniert wegsteckt.

 

Andererseits gibt es kaum Musik, mit der man sich wohler fühlen könnte - zusammengehalten durch einfachste Melodien; in der man sich besser zurücklehnen, suhlen, räkeln und geborgen fühlen könnte. Ja, wenn einem nicht in der nächsten Sekunde gleich wieder eine derbe textliche Ohrfeige („Peace on earth, du Arschloch“, „Jetzt tanz‘ mit mir, du Sau!“) ins Gesicht klatschen könnte. Darauf muss man gefasst sein. Aber mit jedem Hören verfällt man diesem lyrischen Auf und Ab ein Stück mehr. Es sei denn – siehe oben.

 

„Helm ab zum Gebet“, das dritte Album, ist das erste, das Martin Bechler zusammen mit Jenny Thiele (Keyboard, Synthesizer und Gesang) und Paul Weißert (Schlagzeug) eingespielt hat. Noch immer dominieren seine Ideen die Band, aber im Vergleich zu den Vorgängeralben („Das Ende der Coolness, Vol.2“ und „Hey Sexy“) kommen merklich auch Ideen der beiden anderen Vollblutmusiker durch. Vor allem das Zusammenspiel von Bechlers Sprechgesang und Jenny Thieles ausgebildeter Stimme erweitert die Bandbreite der Songs merklich, das Titelstück ist das beste Beispiel dafür.

 

 

 

 

 

Aber wieso funktioniert diese seltsame Mischung und rutscht dabei doch nicht ins kitschig Peinliche ab? Wahrscheinlich, weil es eigentlich unüberhörbar ist, wie wenig wichtig die Band sich selbst und die Lieder nimmt. Und wie ernst sie es zugleich meint. Martin Bechler ist ein alter Hase, was Musikproduktionen angeht, und bei der neuen CD mischt in René Tinner (Can, Lou Reed,  Trio, Müller-Westernhagen) ein Großer seines Fachs mit. Was bei Fortuna Ehrenfeld unvollständig, zufällig oder schludrig klingt, ist alles andere als das. Es ist so gewollt, genau wie der brüchige Gesang sowie die miteinander kollidierenden Textzeilen und liebevoll verdrehte Bildsprache, die so manches geflügelte Wort zum Absturz bringt.

 

Das Songwriting des Fußballfans Martin Bechler besteht, in die Welt der Stadien übertragen, im Wesentlichen aus zwei Taktik-Modi. Erstens: Tiki-Taka-Kombinationsspiel durch die gegnerische Abwehr, tödlicher Pass vors Tor, wo der Maestro den Ball in aller Ruhe annimmt und ihn mit einem verschmitzten Grinsen am Tor vorbeischiebt. Warum? Weil er es kann. Und zumindest nach außen damit kokettiert, dass ihn Torprämien oder steigende Marktwerte nicht interessieren.

 

Zweite Taktik: Rumpelig-rüpelig durchs Mittelfeld pflügen, den Rasen kaputtreten, zufällig vors Tor kommen, aus der gleichen Position den Ball lässig hochnehmen, zweimal jonglieren und mit einem trockenen Volleydrehschuss im Torwinkel versenken. Warum? Weil nicht alles, was scheiße aussieht, auch Scheiße ist. Da ist auch Gold dabei, wenn man nur richtig durchrührt. Und solange es zum Klassenerhalt reicht, ist sowieso alles gut bei Fortuna Ehrenfeld. Denn wer will schon sein wie die Bayern? SanktPankPaul olé!

 

Und wahrscheinlich ist Martin Bechler auch der Einzige, der bei den Zeilen „Im Winter gibt’s Haue, im Sommer ja da schneit‘s“ widerstehen kann, die nächste Zeile mit dem einem geradezu entgegenschreienden plumpen Reim „in der Schweiz, in der Schweiz, in der Schweiz“ enden zu lassen. Bei Fortuna Ehrenfeld sehen wir uns stattdessen „wieder am Salzblusenkreuz“. Wo zur Hölle sich das auch befinden mag (Spoiler: Google weiß es auch nicht) – wenn es darauf ankommt: Ich werde da sein.

 

Fortuna Ehrenfeld, Helm ab zum Gebet (Grand Hotel van Cleef), erschienen am 3. Mai 2019

Fortuna Ehrenfeld (Hamburg, Dezember 2018) Foto: Michael Agricola
Fortuna Ehrenfeld (Hamburg, Dezember 2018) Foto: Michael Agricola

 

 

P.S. Es ist Zeit für ein größeres Publikum, eine größere Arena für die Finten und Tricks von Fortuna Ehrenfeld. Daran arbeiten die Band und ihr Label Grand Hotel van Cleef an vielen Fronten. Ein im März aufgezeichnetes ausgezeichnetes Rockpalastkonzert wird am 27. Mai im WDR ausgestrahlt (sicherheitshalber erst ab 0.30 Uhr nachts). Die Highlights gibt's schon hier:

Rockpalast Crossroads März 2019 (ab Minute 30)

Am 1. Mai spielte die Band ein exklusives Kopfhörer-Konzert in Köln (at the B-Sides), immer wieder buchbar ist sie für Wohnzimmerkonzerte. Und im Mai geht es auf die nächste Tour durch Deutschland, für die es von mir ebenfalls eine uneingeschränkte Empfehlung gibt (Tickets).

Falls es noch jemand nicht wusste: Da steht dann ein Mann in den Vierzigern im Karo-Schlafanzug, mit Bärentatzen-Puschen und Federboa auf der Bühne, eine Rotweinflasche stets in Griffweite. Begleitet von den beiden deutlich jüngeren, hübscheren schon erwähnten Bandkollegen - Jenny Thiele an Tasten und Mikro, und Paul Weißert, der das Ganze aus dem Hintergrund stoisch im Takt und im Gleichgewicht hält. Das muss man gesehen haben.